Darum geht es: Der Landtag diskutiert heute über das neue Versammlungsgesetz. Ein Vorschlag lautet, die Bannmeile vor dem Parlamentsgebäude abzuschaffen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum:

Brauchen wir die Bannmeile vor dem Landtagsgebäude noch? Kritiker meinen, das sei ein Relikt aus vergangenen Zeiten, denn die Demonstranten seien doch heutzutage gar nicht so zudringlich, wie manche meinten. Seit bald zwei Jahren schon tage der Landtag in seinem Ausweichquartier, direkt an der Marktkirche, und dort gebe es auch keine Bannmeile, die politische Kundgebungen auf Distanz hält. Und größere Polizeieinsätze seien dort auch nicht nötig geworden.

Die Beschreibung stimmt, doch sie trifft nicht den Kern. Wer für die Bannmeile streitet, meint nicht die alltäglichen, sondern die besonderen Situationen. Was geschieht, wenn eine rechtsradikale Gruppe zu einer Demonstration direkt vor dem Landtag aufruft? Reicht dann der normale Ordnungsdienst der Polizei aus, damit eine Sicherheitszone zwischen den Kundgebungsteilnehmern und den Gehwegen zum Landtag eingehalten wird? Und sehen die Gegendemonstranten, die den Aufmarsch von Rechtsextremen unbedingt verhindern wollen, das auch so? Ist automatisch gewährleistet, dass jeder Teilnehmer sich gut benimmt und niemand einen Abgeordneten anrempelt oder bedrängt?

Sicher stimmt es, dass in vielen Jahren vor dem Landtag kaum brenzlige Situationen entstanden sind. Die Bannmeile ist auch schon einmal gebrochen worden, da standen Massen von Schülern, Eltern und Lehrern direkt vor dem Portikus, die Abgeordneten konnten nur schwer ihren Weg durch die lautstarke Masse finden. Viele von ihnen waren sichtlich betroffen. Nun ist es nicht so, dass man die Volksvertreter vor Volkes Stimme schützen müsste, die Politiker sollen sich den Unmut von Demonstranten anhören und ansehen. Sie müssen auch heftige Kritik aushalten. Aber wahr ist auch: Jeder Abgeordnete hat ein freies Mandat, er soll in der Sache nach seinem Gewissen entscheiden. Damit ist unvereinbar, wenn ein Mandatsträger unter Druck gesetzt, eingeschüchtert oder in die Enge getrieben wird. Deutliche Proteste, auch lautstark, sind legitim. Wenn Politiker direkt angegriffen oder angepöbelt werden, geht das zu weit.

Nun schützt die Bannmeile nicht überall vor Demonstranten, die zu weit gehen. Sie schafft nur eine räumliche Distanz zwischen der Straße und dem Parlamentsbetrieb. Einschüchterung, Beleidigung und Beschimpfung finden oft auf anderen Wegen statt – in Mails, Drohbriefen, Drohanrufen. Viele Politiker, Polizisten und andere Vertreter des Staates können viel darüber berichten, dass die Hemmschwelle vor solcher verbaler Gewalt enorm abgenommen hat in den vergangenen Monaten. Die Befürchtung, dass verbale in tätliche Gewalt umschlagen kann, ist groß. Zur Abwehr einer solchen Zuspitzung kann die Bannmeile sinnvoll sein.

Die rot-grüne Mehrheit im Landtag sollte auf ihren Innenminister Boris Pistorius hören und die Finger von der Abschaffung der Bannmeile lassen. Ja, im Koalitionsvertrag hat Rot-Grün diese Reform versprochen. Aber das war 2013, und seither ist die Welt nicht friedlicher geworden, auch nicht in Deutschland. Der Koalitionsvertrag basiert in diesem Punkt auf einer wirklichkeitsfremden Einschätzung. SPD und Grüne sollten ihn einfach ignorieren.