In der Radverkehr-Debatte darf man die Pendler nicht vergessen
Darum geht es: Die Grünen haben einen Acht-Punkte-Plan vorgestellt, um den Radverkehr attraktiver zu machen. Der Großen Koalition werfen sie vor, den Radverkehr nur vage und wenig ambitioniert zu fördern. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Die Wahlen in Bayern haben es einmal mehr deutlich gemacht: Die Grünen sind eine Stadtpartei. Das spiegelt sich auch im Forderungskatalog zum Radverkehr wider. Den Autoverkehr zurückzudrängen, um Fußgängern und Radfahrern mehr Platz zu verschaffen, ist eine verständliche Forderung des städtischen Klientels, blendet aber die tägliche Realität auf den Straßen aus, die eben zu einem großen Teil von Pendlern geprägt ist. Der Wunsch, den Anteil der Radler am Berufsverkehr von derzeit 13,6 auf 30 Prozent in den kommenden zwölf Jahren mehr als zu verdoppeln, ist sicherlich gut gemeint. Gutmeinende dürften die Zahl deshalb für optimistisch halten, Kritik dürften den Grünen dagegen Naivität vorwerfen. Denn das Fahrrad kommt vor allem für diejenigen in Frage, die bereits heute in den Städten mehrere Möglichkeiten der Fortbewegung haben und im Zweifel, schon allein aus Gründen der Parkplatznot, ohnehin auf das Auto verzichten. In den Städten gibt es jetzt schon die Möglichkeiten der Fortbewegung: zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Bus und Bahn.
Wer aber außerhalb der größeren Städte lebt, landet zumeist spätestens an der Bushaltestelle auf dem harten Boden der verkehrspolitischen Realität. Wo der Bus nur spärlich fährt, der Bahnanschluss weit entfernt und der Weg in die Stadt zu weit für das Fahrrad ist, gibt es nach wie vor keine Alternative zum Auto. Verständlicherweise sind die meisten Menschen auch nicht dazu bereit, ihr Leben zwischen Arbeit und Familie dem teilweise irrwitzigen Takt des öffentlichen Personennahverkehrs anzupassen. Diese Autofahrer wollen die Städte jetzt teilweise aussperren, und die Grünen wollen ihnen nun auch noch die Spuren auf den Straßen zugunsten des Radverkehrs vorenthalten. Das ist eine Politik gegen tausende Pendler, für die das Fahrrad keine sinnvolle Alternative ist. Wer Forderungen zum Radverkehr der Zukunft aufstellt, kann den Autoverkehr nicht ausblenden. Das wäre auch im Interesse der Radfahrer. Denn es ist auch nicht attraktiv, neben dem Stau und in den entsprechenden Abgasen auf dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.
Bei aller Kritik ist der Vorstoß der Grünen-Landtagsfraktion dennoch begrüßenswert. Denn natürlich haben die Landespolitik und viele Kommunen den Trend zum Fahrrad verschlafen. Die Zahl der verkauften Fahrräder steigt rasant, am Kiosk liegen plötzlich fast so viele Fahrrad- wie Autozeitschriften und die E-Bikes haben der Branche einen zusätzlichen Schwung beschert. Umweltpolitisch ist es unstrittig, dass mehr Rad- und weniger Autoverkehr eine gute Sache wäre. Deshalb brauchen wir bessere und vor allem sicherere Radwege – und die Kommunen sollten ein großes Interesse an funktionierenden Systemen mit Leihfahrrädern haben. Mehr Engagement der Großen Koalition wäre wünschenswert. Wichtig ist aber, dass in einem Konzept alle Verkehrsmittel eingeplant werden. Die meisten Autofahrer sind auch Radfahrer. Wer im Bus sitzt, fährt auch manchmal Rad, und wer radelt geht auch immer wieder einmal zu Fuß. Offenbar sind wir nicht in der Lage, über unser eigenes Verkehrsmittel hinauszudenken. Wer im Auto sitzt, argumentiert immer aus Autofahrersicht, für den Radfahrer sind dagegen an allem die Autofahrer schuld. Ein stimmiges Verkehrskonzept muss deshalb alle Interessen im Blick behalten. Auch dann gibt es immer noch genügend Möglichkeiten, den Radverkehr zu stärken, ohne den Autofahrern zu stark auf die Gasfüße zu treten. Vielleicht steigt der Anteil der Radfahrer am Berufsverkehr nur auf 20 Prozent. Aber auch das wäre schon ein großer Erfolg.