Zu viele Mandatsträger: Öffnet die Parteivorstände!
Darum geht es: Die niedersächsische CDU hat am Freitag in Braunschweig ihren Landesvorstand neu gewählt. Nicht allein im CDU-Vorstand dominieren Mandatsträger, die ihr Einkommen vom Staat beziehen. Weniger Staatsvertreter würden den Vorständen gut tun, meint Martin Brüning.
So eine Wahl zum Landesvorstand geht schneller und einfacher, als manch einer glaubt. Kurze Vorstellung, Abstimmung, fertig. Man kennt sich, man schätzt sich, und wenn man sich nicht schätzt, so kann man den Gegenüber wenigstens gut einschätzen. Das liegt auch daran, dass sich der berufliche Hintergrund von Vorstandsmitgliedern in einer Volkspartei stark ähnelt. Im gerade am Wochenende in Braunschweig gewählten CDU-Landesvorstand tummeln sich die Mandatsträger. Dort geben sich Minister, Europa-, Bundes- und Landtagsabgeordnete sowie Bürgermeister die Hand. Vier Fünftel des Vorstands der nach Mitgliedern größten Partei Niedersachsens wird mit Steuergeldern bezahlt. Im SPD-Landesvorstand sind rund 60 Prozent Funktionsträger des Staates. Und ganz nebenbei: In der FDP, angeblich die Partei der freien Wirtschaft und des Unternehmertums, hat jedes zweite Vorstandsmitglied weder etwas mit freier Wirtschaft noch mit Unternehmertum zu tun, sondern verdient sein Geld im Bundes- oder Landesparlament. Allein bei den Grünen bildet der dort kompakte Vorstand eine Ausnahme. In den Bundesvorständen der großen Parteien sieht es natürlich nicht besser aus. Suchen Sie im CDU-Bundesvorstand doch einmal nach Unternehmern oder Arbeitnehmern. Kleine Empfehlung: Vergessen Sie dabei bitte die Lupe nicht.
Die Entfremdung zwischen Parteien und Wählern könnte durchaus auch etwas mit der Entfremdung zwischen Parteivorständen und der Arbeitswelt außerhalb staatlicher Institutionen zu tun haben. Hinhören und zuhören müssten die Parteien, um wieder Vertrauen zu gewinnen, sagte der CDU-Landesvorsitzende im Rundblick-Gespräch am Rande des Braunschweiger Parteitags. Das Zuhören im eigenen Parteivorstand wird allerdings schon einmal nicht viel bringen. Während sich Politiker nach eigenen Worten immer wieder dafür interessieren, was „die Menschen dort draußen“ so bewegt, bewegen sie sich in der Partei selbst in den eigenen Filterblasen. Dort werden nicht um vier Uhr in der Frühe Zeitungen ausgetragen, um etwas hinzuzuverdienen. Es wird kein Unternehmen geführt und selbst Verantwortung übernommen. Und über die Digitalisierung wird in der Vorstandssitzung zwar gerne philosophiert, aber in der eigenen Behörde geht es damit nur in einer Form voran: ganz, ganz langsam. Die Filterblase ist kein Phänomen des Internets. Es gibt sie auch ganz analog auf der Vorstandsebene.
Ist Parteiarbeit nicht auch ein bisschen „Bäh“?
Dass sich im Vorstand vor allem Minister und Abgeordnete treffen, kann man nicht allein mit dem Sprichwort „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ abtun. Es liegt auch nicht allein daran, dass Parteien im staatlichen System nun einmal eine gewichtige Rolle spielen. Die Abwesenheit von „Menschen da draußen“ liegt auch daran, dass diese Menschen häufig zu politikfern sind und dasselbe auch für Unternehmen zutrifft. Denn ein Engagement in einer Partei kostet Zeit. Und welches Unternehmen goutiert schon noch, wenn Mitarbeiter genau diese Zeit benötigen, um sich ausgerechnet noch einer Partei zu engagieren? Das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr im Ort ist vielleicht noch ein notwendiges Übel. Aber Parteiarbeit muss doch dann nicht auch noch sein und ist doch irgendwie auch ein bisschen „Bäh!“, oder?
Sie halten den Vorschlag für naiv? Aber natürlich ist er das!
Das Auseinanderdriften von Gesellschaft und Parteien, dass sich auch anhand der Mitgliedszahlen ablesen lässt, ist eine schlechte Entwicklung in einer Parteiendemokratie, die nach wie vor ein hervorragendes Modell und damit unbedingt schützenswert ist. Um wieder näher zusammenzurücken, sind sowohl die Parteien als auch die Gesellschaft gefragt. Gut wäre es, wenn die Parteien dabei den ersten Schritt und damit den Versuch unternähmen, in den Führungsgremien einen breiteren Schnitt der Bevölkerung zu repräsentieren. Da bei können nicht allein Verbandsvertreter als beratende Feigenblättchen dienen. Ein solcher Schritt könnte die Akzeptanz der Parteien stärken, zugleich könnten die Parteivorstände von der Kompetenz aus dem „echten Leben“ profitieren.
Sie halten den Vorschlag für naiv? Aber natürlich ist er das. Allerdings sehen wir, wie unsere Parteien samt unserer Demokratie unter Druck geraten. Es ist an der Zeit, alte Zöpfe in Frage zu stellen. Und in den Parteien, in denen es schon halbwegs als Revolution durchgeht, wenn sich der Generalsekretär nicht mehr an das Rednerpult, sondern mit Headset mitten auf die Bühne stellt, findet man die ältesten Zöpfe überhaupt. Deshalb der Appell: Öffnet die Vorstände!