
Die IG Metall will sich in der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie nicht mehr mit Einmalzahlungen zufriedengeben. „Das ist für diese Tarifrunde keine Option“, sagte Bezirkschef Thorsten Gröger am Freitag in Hannover und erinnerte daran, dass die Entgelttabellen seit 2018 nicht mehr nach oben angepasst wurden. Insbesondere nach den „sehr moderaten Corona-Abschlüssen“ der vergangenen beiden Jahre sieht die Industriegewerkschaft dringenden Handlungsbedarf, um auf die massiv gestiegenen Verbraucherpreise zu reagieren. „Der Teuer-Schock, ob bei den Energiepreisen oder den Lebensmitteln, wird nicht weichen, sondern weiter fortwähren“, sagte Gröger und ergänzte: „Wir sind auch davon überzeugt, dass eine kräftige und dauerhafte Tariferhöhung für die Gesellschaft nötig ist, damit der private Konsum jetzt nicht abgewürgt wird.“
Wenn es nach der IG Metall geht, sollen die monatlichen Löhne und Ausbildungsvergütungen um 8 Prozent steigen. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung hält Gröger diese Forderung für gerechtfertigt. „Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen kommen viele Unternehmen doch erstaunlich gut durch die Krise. Und es gelingt ihnen ziemlich gut, die gestiegenen Preise weiterzugeben. Diese Möglichkeit haben die Beschäftigten nicht“, sagte der Bezirksleiter und Verhandlungsführer für die Tarifgebiete Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Den verteilungsneutralen Spielraum – also den Wert, um den Löhne und Tarife steigen müssten, damit die Einkommensverteilung zwischen Beschäftigten und Unternehmern gleichbleibt – bezifferte Gröger für 2022 und 2023 auf 6,2 Prozent. Selbst nach Abzug des 2022 eingeführten Transformationsgelds liege dieser Wert noch bei 5,7 Prozent. „Und dann muss da auch noch ein Stück Umverteilung oben drauf“, erläuterte Gröger die Endforderung von 8 Prozent.
"Weitere 8 Prozent draufzusatteln wäre für die meisten Betriebe im höchsten Maße existenzgefährdend."
Volker Schmidt
Die Arbeitgeberseite sieht diesen enormen Spielraum nicht. „Der Großteil der niedersächsischen Industrie hat derzeit keine Möglichkeit, den exorbitanten Kostenanstieg bei den Vorleistungen, insbesondere auf der Rohstoffseite, in den Preisen weiterzugeben. Auf diesen Preisanstieg noch weitere 8 Prozent draufzusatteln, trägt der wirtschaftlichen Lage der allermeisten Unternehmen in keinster Weise Rechnung und wäre für die meisten Betriebe im höchsten Maße existenzgefährdend“, kommentierte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall, die Forderung der IG Metall. Er verweist auf die Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, nach der zwei von fünf Unternehmen auf den hohen Kosten sitzenbleiben und die Gefahr einer „Lohn-Preis-Spirale“ droht. „Auf der einen Seite kann ich verstehen, dass man möchte, dass die Arbeitnehmer auch Reallohnsteigerungen oder zumindest einen Ausgleich für die Inflation haben. Andererseits schürt das möglicherweise zusätzliche Belastungen für die Unternehmen, die dann zu weiteren Preissteigerungen führen. Ich denke, Einmalzahlungen könnten hier ein guter Kompromiss sein“, sagte IW-Finanzmarktexperte Michael Voigtländer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Der IG-Metall-Tarifpolitiker Carsten Maaß hält dagegen: „Der Duktus stimmt nicht. Die Preise sind doch jetzt schon hoch.“ Aus seiner Sicht handelt es sich vielmehr um eine „Gewinn-Preis-Spirale“. Maaß kündigte an, dass es „einen heißen Herbst“ geben wird. „Wir sind absolut mobilisierungsfähig“, sagte der Gewerkschaftler mit Blick auf das Ende der Friedenspflicht am 28. Oktober. Die Arbeitgeber fordern die Gegenseite zur Gesprächsoffenheit auf. Die extrem differenzierte Lage der Industrie erfordere differenzierte Antworten und eine Diskussion der Tarifpartner, die frei von Tabus sein müsse. Schmidt: „Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, die Schützengräben zu verlassen und neue innovative Wege in der Tarifpolitik zu gehen, um die Kostenbelastung der Unternehmen in Grenzen zu halten."
"Die Probleme sind viel größer, als dass wir sie mit Tarifpolitik lösen könnten.“
Thorsten Gröger
Zumindest ein Punkt dürfte weitgehend unstrittig sein. „Die Probleme sind viel größer, als dass wir sie mit Tarifpolitik lösen könnten“, sagte Gröger. Der IG-Metall-Bezirkschef erwartet von der Politik deswegen, dass sie für weitere Entlastungen sorgt. Er wiederholte auch die Forderung nach einem Energiepreisdeckel für „normale Verbrauchsmengen“, um die Bürger vor weiteren Kostenexplosionen zu schützen. Gröger: „Auch das Einhalten der Schuldenbremse muss in einer solchen Situation auf den Prüfstand.“