Idee zum Koalitionsvertrag (4): Schafft die Direktwahl für die Rathäuser wieder ab!
SPD und Grüne bereiten gerade ihren Koalitionsvertrag für die nächste niedersächsische Landesregierung vor. Was soll dort drin stehen? Die Rundblick-Redaktion unterbreitet den Unterhändlern Vorschläge. Heute der vierte Teil: die Kommunalverfassung.
Der Begriff „Fachkräftemangel“ wird gegenwärtig häufig von Wirtschaftsvertretern verwendet. Sie merken es auch sehr deutlich, wenn ausgebildete junge Leute fehlen, die wichtige Aufgaben erfüllen sollen. Das sind Bäckereifachverkäufer ebenso wie Automechaniker, IT-Spezialisten oder auch Lehrer. Aber auch die öffentliche Verwaltung leidet unter einem Fachkräftemangel, sie muss sich daher notgedrungen verschlanken und ihre Prozesse vereinfachen. Wenn die Bürokratie zu kompliziert ist, bewirkt das Fehlen von Zuständigen an bestimmten Stellen eine Verzögerung des Entscheidungsprozesses. Wo niemand im Büro sitzt, kann die Akte eben nicht bearbeitet werden. Wird die Bürokratie vereinfacht und verschlankt, so fallen das Büro und der Mitarbeiter weg, alles wird schneller. Wenn ein Landkreis keinen Tierarzt mehr für das Veterinäramt findet, muss er sich des Kollegen im Nachbarlandkreis bedienen – und die Vorschriften müssen so zugeschnitten sein, dass solche Art Amtshilfe dienstrechtlich unkompliziert möglich wird.
Damit steht ein Ratschlag an die Verwaltungsreformer schon mal fest: Die Vorschriftenflut muss entschlackt und entwirrt werden, das Dienstrecht muss vor allem Flexibilität belohnen. Die Neuordnung von Behörden und der Verzicht auf gegenseitige Informations- und Kontrollpflichten kann ein Weg sein. In der Kommunalverwaltung allerdings drückt sich der Fachkräftemangel noch auf andere Weise aus, nämlich in der Gestalt des Qualitätsverlustes. Das wird besonders auffällig immer dann, wenn es um die Spitzenpositionen in den Verwaltungen geht, um die Wahl der neuen Landräte und Bürgermeister.
Hinter vorgehaltener Hand klagen Kommunalpraktiker darüber, wie wenig kenntnisreich, führungserfahren und entscheidungssicher diejenigen sind, die sich für solche Ämter bewerben und dann häufig sogar gewählt werden. Sie werden von ihren Parteien oder Wählervereinigungen aufgestellt, treten in den Wahlkämpfen bürgernah auf und gewinnen dann häufig mangels besserer Konkurrenz die Wahl. Da es keine Anforderungen an Verwaltungserfahrung oder -ausbildung gibt, die Bewerber vielmehr von ihren Parteien nach politischen Kriterien ausgesucht wurden, sind die Resultate oft entsprechend. Einmal im Amt als Chef von Verwaltungen, in denen hunderte oder gar mehr als 1000 Mitarbeiter tätig sind, erleben manche dann regelrecht einen Kulturschock. Die Guten beißen sich durch, arbeiten sich in die Materie ein, suchen sich die richtigen Berater und gewinnen Profil. Die weniger Guten resignieren, verzweifeln und legen sich in heiklen Fragen lieber nicht fest in der Sorge, das Falsche zu tun. Das ist das Schlimmste: Bürgermeister, die in der Sorge vor Fehlern in eine regelrechte Schockstarre fallen und abwarten.
Kommunalverbände sehen Trend zu schwachen Bürgermeisterkandidaten
Die Kommunalverbände sehen eine Verstärkung des Trends zu schwachen Bürgermeisterkandidaten in der Tatsache, dass die Amtszeit nur fünf Jahre beträgt und jeder Amtsinhaber mit dem Risiko der Abwahl rechnen muss, also keine langfristige Beschäftigungssicherheit hat. Das würde gute Leute, etwa versierte Verwaltungsjuristen, eher abstoßen. Hinzu komme der öffentliche Druck, dem die Verwaltungschefs ausgesetzt sind – sie müssen dauernd ansprechbar und handlungsbereit sein, auch nach Dienst, und sie ernten dafür gerade in jüngster Zeit oft wenig Anerkennung, dafür aber umso heftiger Kritik, Gegenwind und sogar Anfeindungen. Daher fordern die Verbände eine Verlängerung der Amtszeit auf acht Jahre, wie es vor 2013 der Fall war. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der damals für die Amtszeitverkürzung eingetreten war, hat sich inzwischen gesprächsbereit gezeigt.
Aber löst das wirklich das Problem? Auch sieben oder acht Jahre Amtszeit können die hohe Belastung und die Nachteile, die mit dem Bürgermeister- und Landratsamt verbunden sind, nicht wirklich wett machen. Eine Reform sollte daher tiefer und gründlicher ansetzen. Niedersachsen sollte die 1996 mit der absoluten SPD-Mehrheit im Landtag beschlossene Reform, die sogenannte „Zweigleisigkeit“ abzuschaffen, wieder rückgängig machen. Was heißt das? Mit „Zweigleisigkeit“ war das Modell der Kommunalverfassung gemeint, in dem der Bürgermeister oder Landrat der oberste Repräsentant der Stadt oder des Kreises war, aber ehrenamtlich agierte – wie auch die anderen Mitglieder der Räte oder Kreistage.
Für die Leitung der Verwaltung war ein Stadtdirektor oder Oberkreisdirektor zuständig, der für eine längere Amtszeit (etwa zwölf Jahre) von der Kommunalvertretung gewählt wurde. Dieser Verwaltungschef hatte seinen eigenen Zuständigkeitsbereich (wie heute auch der Bürgermeister), in den der Rat oder Kreistag nicht eingreifen durfte. Er war dem Rat oder Kreistag gegenüber verantwortlich und konnte bei gravierenden Meinungsverschiedenheiten von diesem Gremium auch abgewählt werden. Der Begriff „Zweigleisigkeit“ entstand deshalb, weil der Stadtdirektor als Verwaltungschef natürlich der mächtigste Mann im Rathaus und in der Stadt war, er musste aber dem formal obersten Repräsentanten, dem Bürgermeister, immer den Vortritt lassen. Dies führte in manchen Kommunen zu Spannungen, in anderen harmonierte das Team und die Kommune gewann durch eine geschickte und effektive Aufgabenteilung. Nur dort, wo sich beide Personen an der Spitze nicht verstanden, war oft Gegnerschaft dominierender als Zusammenarbeit.
Zweigleisigkeit hat drei große Vorzüge
Nun wird man sich fragen, was heute die Vorzüge einer Rückkehr zur Zweigleisigkeit wären. Erstens wäre es so möglich, die Amtszeit der Verwaltungschefs auf zwölf Jahre auszuweiten – das macht dieses Amt für qualifizierte Bewerber attraktiver. Zweitens gewährleistet die Wahl durch den Rat (oder den Kreistag für die Oberkreisdirektoren), dass weniger populistische Positionen oder parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen und mehr solche der Qualität der Verwaltungsführung. Die Mitglieder der Räte oder Kreistage dürften nämlich mit der schwierigen kommunalpolitischen Materie sehr viel vertrauter sein als die Gesamtheit der Wahlbürger. Da zudem kein oberster Repräsentant gewählt werden soll, sondern ein Verwaltungsexperte, dürfte als Auswahlkriterium die fachliche Eignung viel größer sein als die politische Strahlkraft oder die Sicherheit im medialen Auftreten. Drittens entlastet die Tatsache, dass der oberste Repräsentant der Kommune ein anderer sein soll, die gewählten Verwaltungschefs von der Erwartung, neben der Verwaltungsarbeit auch noch ständig der Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte der Bürger sein zu müssen. De facto müssen natürlich Stadtdirektor wie Bürgermeister gleichermaßen allzeit bereit sein für Notfälle und Krisen, keiner von beiden kann wirklich abtauchen. Aber die Zweigleisigkeit hätte bei diesen Umständen ein entlastendes Moment. Wenn man die Aufgabenbeschreibung für beide Spitzenpositionen noch klarer fasst, ließe sich auch die Gefahr der Konkurrenz abschwächen.
In Zeiten, in denen die Parteien verstärkt über „Doppelspitzen“ für schwierige Führungsämter nachdenken, dürfte es nur angemessen sein, auch in Niedersachsen über die Rückkehr zur Zweigleisigkeit nachzudenken – im Interesse einer besseren Qualität der Verwaltungsarbeit. Unterm Strich wäre das im Übrigen auch ein Beitrag zur Stärkung des Ehrenamtes, denn es häufen sich landauf und landab auch Klagen über andere Fälle eingleisiger Bürgermeister und Landräte, solche nämlich, in denen die Amtsinhaber nach ihrer Wahl durch das Volk abgehoben und selbstherrlich werden und der Rat als Kommunalvertretung kaum noch in wichtige Fragen einbezogen wird. Diese Gefahr wäre mit einer zweigleisigen Doppelspitze vermutlich weitaus geringer.
Dieser Artikel erschien am 24.10.2022 in der Ausgabe #187.
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