Haushaltsüberschüsse automatisch zur Tilgung verwenden? Das klingt wohltuend
Darum geht es: Am Donnerstag berät der Landtag über einen FDP-Antrag zur Änderung der Landesverfassung. Er sieht vor, dass alle Einnahmen, die wegen eines brummenden Konjunkturmotors über die normale Entwicklung hinausgehen, automatisch zur Tilgung von Schulden verwendet werden sollen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Wenn die politischen Ziele, die eine Regierung vertritt, zufällig mit den Charaktereigenschaften von ihrer wichtigsten Politiker zusammentreffen, dann ist das eine geradezu ideale mediale Kombination. Für die alte Bundesregierung, die bis zum vergangenen Herbst richtig im Amt war und seither nur noch geschäftsführend agiert, galt das allemal. Die Finanzpolitik wurde maßgeblich von der CDU vertreten, vor allem von deren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Und die Gegner von Schäuble, auch bei SPD, Grünen und Linken in Deutschland, hatten ihm stets einen bestimmten, als Schimpfwort gemeinten Begriff entgegengeschleudert: „Austeritätspolitik“.
Konsequente Finanzpolitik abverlangen
Auch politische Insider mussten erst nachblättern oder auf Google nachschauen, was sich dahinter verbirgt. Unter „Austerität“ erscheinen dann Begriffe wie „Herbheit, Ernst, Strenge“ oder auch „Disziplin, Entbehrung, Sparsamkeit“. Wer wollte bestreiten, dass diese Attribute für den Rollstuhlfahrer Schäuble, der mit eiserner Härte gegen sich selbst seine politische Stellung behauptet, perfekt passen? Auf die Politik übertragen war das dann die Ansage, den Ländern in Europa eine konsequente Finanzpolitik abzuverlangen – sowohl beim Eintreiben von Steuern wie auch beim Beachten der Grenzen für mögliche Ausgaben. Da das in Griechenland lange unmöglich schien, war Schäuble intern dafür, die Griechen aus dem Euro zu verabschieden. Er hat sich, wenn auch sonst überaus prägend und dominant, mit diesem Gedanken nicht durchsetzen können.
Gejammere der Christdemokraten liegt auch an Schäuble
Nun ist Schäubles Zeit in der großen Politik vorbei, als Bundestagspräsident hat er eine ganz andere Rolle. Der Frust vieler in der CDU, man habe das mächtige Finanzministerium an die SPD abtreten müssen, hat sicher weniger mit dem Gewicht dieses Ministeriums als solchem zu tun. Es hängt, über die Geschichte der Bundesrepublik betrachtet, immer mehr an den Personen und Konstellationen, welche Macht welcher Ressortchef entfaltet. Vielmehr liegt das aktuelle Gejammere manches Christdemokraten vor allem am Verlust des mächtigen Finanzpolitikers Schäuble. Oder anders ausgedrückt: Die Symbolfigur für die „Austeritätspolitik“ ist verschwunden, das feiern die Gegner dieser Politik als einen Sieg, und die Anhänger dieser Richtung reagieren irritiert. Ob der vermutliche künftige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Verein mit Frankreichs Präsident Emanuel Macron wirklich einen Richtungswandel durchzusetzen vermag, ist noch eine offene Frage. Immerhin spielt nach wie vor das Kanzleramt in der Europa- und Finanzpolitik eine gewichtige Rolle. Dennoch: Die Stimmen jener, die vor „übertriebener Sparsamkeit“ warnen und immer irgendeine Schultoilette als Beispiel nennen, für deren überfällige Sanierung wegen der Sparpolitik seit Jahren kein Geld vorhanden gewesen sei, werden immer lauter.
Keine Sparpolitik erkennbar
Auch in Niedersachsen kann man das betrachten. Die Elemente einer Finanzpolitik, die auf Sparsamkeit, Ausgabendisziplin und Reform der Verwaltung (mit dem Ziel von Vereinfachung und Stellenabbau) setzt, sind in der neuen SPD/CDU-Koalition bisher nicht zu erkennen. Es dominiert bei den Regierenden eine eigentümliche Lust am Geldausgeben. Vorsichtig ausgegebene Warnungen von Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), bitteschön an die zwingenden Folgekosten in den kommenden Jahren zu denken, haben bisher keine erkennbar bremsende Wirkung auf die Ausgabenfreude gehabt. Noch fehlt in offiziellen Erklärungen der SPD/CDU-Regierung eine Verteufelung der „Austeritätspolitik“, aber nach den ersten 100 Tagen dieses Kabinetts wäre es kein Wunder, wenn das auch noch käme.
Ausnahmsweise neue Kredite
Dabei hat nun die FDP eine wohltuende Formulierung für die Schuldenbremse gefunden, die noch in die Landesverfassung geschrieben werden muss, bevor von 2020 an das Neuverschuldungsverbot im Grundgesetz greift. Eine Landes-Regelung würde nämlich ermöglichen, dass Niedersachsen im Fall einer Wirtschaftskrise ausnahmsweise doch neue Kredite aufnehmen darf. Diesen Weg planen auch SPD und CDU. Aber das besondere an der FDP-Idee ist die Umkehrung: Wenn eine ungewöhnlich positive Konjunktur (wie seit Jahren) viel mehr Geld als erwartet in die Landeskasse spült, solle in der Verfassung vorgeschrieben werden, dass diese zusätzlichen Beträge abgeschöpft und zum Abbau der Altschulden verwenden werden müssen. Das hieße nun: Aus Überschüssen eine Extra-Kasse anzulegen für den Neubau von Uni-Kliniken und für die Digitalisierungs-Offensive, wie es derzeit geschieht, würde dann nicht mehr gehen. Das Land müsste sich jede neue Großinvestition vom Munde absparen, dafür Prioritäten setzen und im Umkehrschluss an anderen Stellen Ausgaben kürzen. Dass die FDP mit dieser Idee durchkommt, scheint unwahrscheinlich. Aber als Gedanke ist das in einer Zeit, die vom munteren Geldausgeben geprägt ist, sehr reizvoll.