Bereits 107 Ermittlungsverfahren wegen Hass-Kommentaren
Die Zahl der Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit sogenannten „Hass-Mails“ in sozialen Netzwerken steigt an. Wie das Innenministerium auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Stefan Birkner und Marco Genthe erklärt hat, wurden allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 107 staatsanwaltschaftliche Verfahren eingeleitet, weil Menschen im Internet oder mit Zuschriften etwa an Amtsträger oder Politiker ihren Hass ausgedrückt haben.
Das ist eine erhebliche Steigerung gegenüber 2018, als im ganzen Jahr 129 derartige Fälle bekannt wurden. 2017 indes war das Niveau noch höher als 2018, damals wurden 188 Verfahren gemeldet. Wie aus der Statistik des Innenministeriums hervorgeht, gab es auch eine Verschiebung. 2017 waren 149 Fälle rechtsradikal motiviert, im Jahr darauf noch 99, im ersten Halbjahr 2019 sind es 52. Linksmotivierte Absender gab es 2017 insgesamt zwölf, im vergangenen Jahr 17 und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres immerhin 42. 2017 wurden noch elf Absender der „ausländischen Ideologie“ zugeordnet, dies spielt in den Folgejahren keine Rolle mehr, ebenso wenig wie die „religiöse Ideologie“.
Polizei plant, bedrohte Mandatsträger zu unterstützen
Die FDP-Politiker hatten sich nach der Lage in Niedersachsen erklärt und gleichzeitig ihre Skepsis ausgedrückt, da bundesweit viele solcher Verfahren nur mit geringen Erfolgsaussichten verliefen. Das sei auch deutlich geworden im Zusammenhang mit dem von einem Rechtsradikalen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der sich in der Flüchtlingspolitik aufnahmebereit gezeigt hatte und daraufhin angefeindet worden war. Das Bundesland Hessen hatte daraufhin angekündigt, entschiedener und schneller gegen Hass-Kommentare im Netz vorgehen zu wollen – unter anderem auch über die Sonderkommission, die sich mit der Aufklärung des Mordes beschäftigt. Es sollten Polizisten, IT-Fachleute und Verfassungsschützer zusammenwirken. Nun wollten Birkner und Genthe wissen, inwieweit sich Niedersachsen hier betätigt.
Innenminister Boris Pistorius (SPD) teilt dazu mit, dass seit Juli 2018 in den Ermittlungsverfahren differenziert festgehalten wird, wie sich die Hass-Botschaften unterscheiden – antisemitisch, antichristlich, antiislamisch, allgemein fremdenfeindlich, behindertenfeindlich oder gegen sexuelle Orientierungen gerichtet. 2018 und 2019 sei es jeweils zu acht rechtskräftigen Verurteilungen wegen solcher Hass-Botschaften gekommen.
Das Innenministerium schränkt aber ein, dass eine Verfolgung nicht bei allen Delikten einfach möglich sei. Zum einen werde beispielsweise Beleidigung nur auf Antrag des Betroffenen verfolgt, zum anderen würden viele Botschaften von gefälschten oder irrealen Profilen aus versendet – eine Identifizierung sei dadurch erschwert oder nicht möglich. Auch beim Versand von E-Mails würden oft Anonymisierungsdienste verwendet. Die Polizei arbeitet nach Auskunft des Ministeriums an einheitlichen Standards und Prozessen, wie Mandatsträger und Personen des öffentlichen Lebens reagieren sollen, wenn sie bedroht oder angegriffen werden. Eine Reihe von Regionalkonferenzen in den Polizeidirektionen sei geplant.
Ein wehrhafter Rechtsstaat darf nicht hilflos danebenstehen, wenn Hassbotschaften mit strafrechtlichem Inhalt im Internet unter dem Deckmantel der Anonymität verbreitet werden.
Der Vize-Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Uwe Schünemann, sprach sich im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick dafür aus, hier strenger vorzugehen: „Ein wehrhafter Rechtsstaat darf nicht hilflos danebenstehen, wenn Hassbotschaften mit strafrechtlichem Inhalt im Internet unter dem Deckmantel der Anonymität verbreitet werden. Wer seine Meinung äußert, der sollte in einer offenen demokratischen Gesellschaft auch dazu stehen. Die Meinungsfreiheit wird von unserer Verfassung geschützt. Daher kann ich nicht nachvollziehen, dass viele Anbieter von sozialen Netzwerken immer noch keinen Identitätsnachweis fordern, wenn sich Nutzer anmelden. Dies leistet Fake-Profilen Vorschub.“ Schünemann verwies auf Österreich, wo gerade geplant wird, Nutzer von Online-Plattformen mit mehr als 100.000 Mitgliedern zu zwingen, sich mit Namen und Adresse zu legitimieren. Wenn dagegen verstoßen werde, drohe dem Betreiber der Website ein saftiges Bußgeld.