Hand aufs Herz: War die Verwaltungsreform von Schünemann die richtige?
Darum geht es: Der noch von der rot-grünen Landesregierung bestellte Gutachter Jörg Bogumil legt heute sein Schlussgutachten zum niedersächsischen Verwaltungsaufbau vor. Dabei spart der Professor, der als Anhänger der Bezirksregierungen gilt, nicht mit Kritik an der noch von Schwarz-Gelb in Gang gesetzten Reform von 2005. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Dass Jörg Bogumil eine Menge an kritischen Hinweisen nennen würde, wenn er den Verwaltungsaufbau in Niedersachsen bewertet, überrascht nicht. Seine Skepsis gegenüber der Art und Weise, wie 2005 unter dem damaligen Innenminister Uwe Schünemann die Landesverwaltung reformiert wurde, ist hinlänglich bekannt. Für CDU und FDP, die damals regierten, war das Prinzip der Fachlichkeit entscheidend – der Behördenzuschnitt konzentrierte sich auf die Stränge, in denen Fachkompetenz und Erfahrung versammelt war. Alles andere wurde zur Disposition gestellt. Die Linie von Bogumil ist eine andere, er legt mehr Gewicht auf die Zusammenführung und den Ausgleich bestimmter fachpolitischer Sichtweisen – und das durchaus auch auf kleinere regionale Einheiten begrenzt. Deshalb hätte Bogumil auch nie – wie damals Schünemann – die Bezirksregierungen abgeschafft. Und noch weiter: Deshalb sieht Bogumil nun auch die 2013 von Rot-Grün geschaffenen „Ämter für Regionalentwicklung“ (ÄfR), die von Kritikern als „Keime für Bezirksregierungen“ verspottet wurden, überaus positiv.
Das führt zunächst zur Frage, ob CDU und FDP damals richtig handelten, als sie die Bezirksregierungen abgeschafft und die Behördenlandschaft ausgedünnt haben. Die Antwort ist ein klares Jein. Ja, es war der richtige Ansatz, um das bis dahin weitverzweigte Netz an Institutionen zu lichten. Nur so war es möglich, etliche Stellen – einige sprechen von 6700 – abzubauen. Allerdings haben Kritiker wie Bogumil recht, wenn sie die Defizite benennen. Die regionalen Verwaltungszweige, die verschiedene Fachansichten bündeln, abwägen und zusammenführen sollten, sind vielerorts verschwunden. Das in Bogumils Gutachten benannte Beispiel des Tankunglücks von Ritterhude, bei dem die Zuständigen für Wasserschutz, Gewerbeaufsicht, Immissionsschutz und gefährliche Stoffe angeblich nicht mehr miteinander kommunizierten, nebeneinander arbeiteten und deshalb die Alarmzeichen für eine Katastrophe übersahen, klingt sehr eindrucksvoll. Wenn das so stimmt, ist das tatsächlich ein Defizit. Aber: Hätten CDU und FDP nach der großen Reform von 2005 die Kraft gehabt, den naheliegenden nächsten Schritt zu gehen, gäbe es sicher weniger Ansatzpunkte für Kritik. Die Zusammenlegung der Landkreise zu gleichmäßig starken und selbstständigen Einheiten hätte es erlaubt, weiter Landesaufgaben auf diese zu übertragen – und ihnen jene Bündelungsfunktion zu verleihen, die früher von den Bezirksregierungen erfüllt oder wenigstens erhofft worden war.
Lesen Sie auch:
Dass SPD und CDU jetzt die Kraft finden zu einer großen Landkreisreform ist zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Kommt damit der Bogumil-Vorschlag zum Zuge, die 2013 geschaffenen ÄfR aufzuwerten zu „kleinen Bezirksregierungen“? Ausgeschlossen ist das nicht. In der SPD gibt es starke Kräfte in diese Richtung, die CDU hat sich noch im Landtagswahlkampf überraschend entgegenkommend in dieser Frage gezeigt, nachdem zuerst ein striktes „Nein“ zu den ÄfR und den vier Landesbeauftragten dominiert hatte. Bleibt noch die Frage, ob das nun ein richtiger und angemessener Weg wäre. Hier sollte man noch einmal an die Erfahrungen des Jahres 2005 anknüpfen, als die letzte große Verwaltungsreform in Niedersachsen umgesetzt wurde. Bei allen Schwächen, Mängel und Unzulänglichkeiten des damaligen Konzepts bleibt doch Respekt vor einer großen Leistung – es war gelungen, viele Verwaltungswege abzukürzen. Die Dreistufigkeit des Behördenaufbaus wurde zur Zweistufigkeit, zwar nicht konsequent für alle Bereiche, aber doch für die meisten. Das schuf Spielraum für Einsparungen. Damals war es die finanzielle Not des Landes, die zu solchen Schritten angespornt hat. Heute fehlt ein solcher Druck – doch der Anlass für eine radikale Vereinfachung und Straffung der Verwaltungsabläufe ist noch weitaus größer als damals, weil die Digitalisierung viele gewohnte Verfahrensweisen entbehrlich macht.
Das Bogumil-Gutachten sollte der Auftakt sein für die nächste Verwaltungsreform – aber eine Maßgabe muss dabei sein, den Behördenaufbau in Niedersachsen bei dieser Gelegenheit gleich kräftig abzuspecken. Ohne den klaren Willen zur Entbürokratisierung ist jede Reform nutzlos.
Mail an den Autor dieses Kommentars