Grünen-Parteitag: Zwei Siege und eine krachende Niederlage
Die spannende Frage dieses Bundesparteitags der Grünen war am Sonnabend um genau 12.15 Uhr entschieden. Das war der Moment, in dem die 37-jährige Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, ihre Bewerbungsrede für den Bundesvorsitz der Grünen beendete. Baerbock trat kämpferisch und rhetorisch geschickt auf, sprach von Klimawandel, Alltagsarmut und Umweltpolitik – und sie erntete geradezu tosenden Applaus, wahre Beifallsstürme. Tagelang vorher hatten Beobachter von einem „knappen Ergebnis“ gesprochen, von einem „engen Rennen“ zwischen den beiden weiblichen Kandidaten. Doch nun, nach Baerbocks Rede, zeigt sich, wie sehr die noch recht junge Frau die klare Favoritin ist. Am Mikrophon steht sie, in schwarzer Lederjacke, spricht schnell und ballt die Faust – sie rockt den Saal. Ein neuer Star ist geboren, der sogar den anderen Star, Robert Habeck, in den Schatten stellen kann.
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Die darauf folgenden Wahlen waren dann eigentlich nur noch Formsache. Die niedersächsische Grünen-Landtagsfraktionsvorsitzende Anja Piel, die gegen Baerbock angetreten war und selbst Bundesvorsitzende werden wollte, zieht den Kürzeren. Für sie stimmen nur 272 Delegierte, für Baerbock sprechen sich 504 aus. So wird dieser Bundesparteitag doch zur krachenden Niederlage für die 52-Jährige Piel. Auch sie versuchte es kämpferisch in ihrer Bewerbungsrede, löste damit auch Beifall aus. Doch nach Baerbock, die vorher geredet hatte, wirkte das nur noch wie ein Abklatsch. Zu allem Unglück versagte mitten in ihrer Ansprache noch die Stimme, sie musste kurz pausieren. Ob es richtig war, sich hier in diesen Wettbewerb der Vorwärtstreiber zu begeben?
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Piel ist die ruhige, eher mütterliche und vermittelnde, vom Typ her eben keine rhetorische Speerspitze. Ihr Markenzeichen war bisher, in fünf Jahren Fraktionsvorsitz der Grünen im Landtag, die Klärung von Streitfragen im Hintergrund, eher still und unauffällig. Hätte Piel es an diesem Wochenende geschafft, die Vorsitzende an der Seite des quirligen Kollegen Robert Habeck zu werden, so hätten die Grünen vermutlich das ideale Paar bekommen: Habeck für die glänzenden Auftritte in der Öffentlichkeit, Piel für die Kommunikation nach innen. Bekommen hat die Partei nun zwei begnadete Außendarsteller. Als Baerbock in ihrer Bewerbungsrede sagte: „Wir wählen heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern eine neue Bundesvorsitzende“, brandete starker Beifall auf – und es war zugleich die Ansage, dass sich die neue Parteichefin nicht mit der zweiten Geige abfinden will. Es liegt also durchaus eine Spannung in diesem neuen Team.
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Eine Niedersächsin, hatte es vorher geheißen, werde ja in jedem Fall gewinnen. Wenn nicht Piel, die im Kreis Hameln wohnt, dann eben Baerbock, die in Hannover geboren wurde und dort auch aufgewachsen ist – auch wenn sie heute klar in Brandenburg verortet wird. Für die niedersächsischen Grünen ist die Niederlage der Landtags-Fraktionsvorsitzenden bei der Vorstandswahl indes doch eine Wegweisung. Piel war ausdrücklich als Vertreterin der Parteilinken angetreten – gelten doch vor allem die Verbände Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als links geprägt, während in fast allen anderen die Realos wesentlich stärker, oft sogar dominant sind. Piels Niederlage ist also auch eine Niederlage der Linken bei den Grünen.
Was bedeutet das Ergebnis für die Grünen-Landtagsfraktion?
Für die unterlegene Kandidatin kommt noch hinzu, dass die vergangenen Monate von einer Serie unerfreulicher Ereignisse geprägt sind. Es begann im August mit dem Austritt der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten aus ihrer Fraktion. Dann kam die Landtagswahl mit fünf Prozentpunkten Verlust und dem Ende von Rot-Grün. Anschließend gab es für die Grünen keine Chance, auch deshalb, weil sie Jamaika nicht in den Blick nahmen, eine Beteiligung an der nächsten Regierung zu erreichen. Und nun auch noch die Niederlage bei der Wahl zum Grünen-Bundesvorstand.
Immerhin geht man bei den Grünen-Landtagsfraktionsmitgliedern davon aus, dass personelle Veränderungen in Hannover nun erst einmal nicht anstehen. Hätte Piel gewonnen, so hätte sie den Fraktionsvorsitz abgegeben – vielleicht an den früheren Agrarminister Christian Meyer, vielleicht auch an Helge Limburg, den bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer. Nun kehrt Piel aus einem harten Wettbewerb geschwächt zurück – aber sie muss nun nicht befürchten, dass die anderen ihr verübeln, die Kandidatur gewagt zu haben. Hier kann die Landtagsfraktionschefin auf die Solidarität der Landtagsfraktion und wohl auch der Landespartei vertrauen. Jedenfalls vorläufig. (kw)