Weil und die Corona-Krise: Lob von den Grünen, Kritik von der FDP
Von Klaus Wallbaum
In Krisenzeiten wie diesen zeigt der Ausnahmezustand seine verschiedenen Gesichter. Das merkt man auch im Landtag. Drei Monate lang bestimmt nun die Corona-Pandemie die Politik, und dies schlägt sich in jedem Monat in den Plenardebatten etwas anders nieder. Im März herrschte die allgemeine Betroffenheit vor, der Ministerpräsident mahnte zur Solidarität und alle politischen Kräfte, auch die Opposition, unterstützten die Regierung. Im April, als die erste Phase vorüber war, rückten Grüne, FDP und AfD von Sozial- und Christdemokraten wieder ab, sie beklagten Fehler im Krisenmanagement und forderten die stärkere Beteiligung der Volksvertretung an den Entscheidungen.
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Und jetzt, im Mai, ist schon wieder alles anders. Erneut hält Ministerpräsident Stephan Weil eine Regierungserklärung, es ist seine dritte in zehn Wochen. Wieder reagieren die Fraktionen, aber die Atmosphäre will so gar nicht zu der im März- auch nicht zu der im Aprilplenum passen. Mehrere Redner wirken erschöpft, die Anspannung scheint geringer zu sein, aber entspannt kann man die Stimmung auch nicht nennen. Vielmehr wird in mehreren Reden die Bemühung deutlich, die Kritik zielstrebiger an bestimmte Personen zu richten.
Besonders im Fokus ist an diesem Tag Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), er bekommt gleich mehrfach harte Kritik, aber auch viel Lob zu hören. Zu Beginn versucht Weil, den vom Kabinett beschlossenen „Stufenplan“ für eine „Rückkehr in eine neue Normalität mit dem Corona-Virus“ zu begründen – und vor allem um Geduld zu bitten. Forderungen nach einer schnelleren Aufhebung von Beschränkungen seien riskant: „Sie schaffen doch auch nicht die Feuerwehr ab, wenn es gerade nicht brennt.“ Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen würden „noch längere Zeit unseren Alltag begleiten“, nötiger denn je sei die Bereitschaft der Bürger zur Mitwirkung. Dass es automatisch weitere Lockerungen geben werde, sei unklar – auch Verschärfungen seien durchaus möglich.
Ich darf doch den Ministerpräsidenten auch mal loben, wenn ich mit ihm einer Meinung bin.
Die Grundbotschaft in Weils Rede ist ähnlich wie in den zwei vorangegangenen Erklärungen. Aber die Reaktionen sind anders. Johanne Modder, Vorsitzende der SPD-Fraktion, leistet die bewährte Unterstützung, lobt Weil für den Stufenplan und warnt vor voreiligen Öffnungen – wie auch vor den Verschwörungstheoretikern, die sich breit machen. Haltungen wie die des Grünen-Politikers Boris Palmer, der Schutz alter Menschen sei nicht verhältnismäßig, halte sie für „unerträglich“.
Noch vor Modder spricht die Grünen-Fraktionschefin Julia Hamburg. Bei ihr fällt dadurch auf, dass auch sie an mehreren Stellen den Ministerpräsidenten ausdrücklich lobt – für seine „abwägenden Worte, die die Herausforderungen der Zeit treffen“ und für die „behutsamen Schritte“. Zwar fügt Hamburg auch Kritik hinzu, fordert mehr Ansätze für neue Innovationen und für Hilfen, die Eltern und Familien zugutekommen sollten. Dann merkt sie aber, wie irritiert die SPD über ihre Worte zu Weil sind. „Ich darf doch den Ministerpräsidenten auch mal loben, wenn ich mit ihm einer Meinung bin“, sagt sie daraufhin fast entschuldigend.
Birkner übt scharfe Kritik an Weil
Wenn es womöglich Hamburgs Bemühen gewesen sein könnte, die SPD und den Ministerpräsidenten zu schonen, dann wird bei FDP-Fraktionschef Stefan Birkner an diesem Tag das Gegenteil erkennbar: Er übt, wie schon im April, scharfe Kritik an der Regierung – aber diesmal nicht gleichgewichtig an SPD und CDU, sondern fast nur in Richtung SPD. Die Lockerung der Auflagen sei nicht überzeugend, erinnere vielmehr „an das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Sozial- und Wirtschaftsministerium“.
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Der Ministerpräsident, rügt Birkner, solle „endlich seine nur beobachtende Rolle ablegen“, man habe den Eindruck, „Weil ist nicht auf der Höhe der Zeit“. Dass der Regierungschef zur Wirtschaftspolitik lediglich sage, man solle „die Autoindustrie nicht allein lassen“, genüge „dem politischen Anspruch eines Ministerpräsidenten nicht“. Die SPD-Bildungspolitik habe über Jahre die Digitalisierung verschlafen. Kurz darauf setzt Birkner noch einmal nach: Dem Regierungschef sei „das Parlament egal, denn er kann je mit Verordnungen alles regeln“, deshalb äußere Weil sich zur Stärkung der Landtagsrechte gar nicht.
Guth vertritt die Radikalwende der AfD
So wecken die Auftritte der Fraktionschefs von Grünen und FDP den Verdacht, als stecke dahinter auch ein strategischer Versuch, sich besonders zur SPD zu verhalten – die Grünen im Sinne einer Annäherung, die FDP im Sinne einer Abgrenzung. Als Dana Guth (AfD) spricht, werden derartige Ansätze nicht erkennbar. Sie zeigt sich vielmehr als Anhängerin einer radikalen Abkehr von den Auflagen und Freiheitsbeschränkungen, da diese nicht verhältnismäßig seien. Das ist insofern völlig neu, als die AfD Anfang März noch die Fraktion war, die als erste nach entschlossenen Schritten gegen die Ausbreitung des Virus gerufen hatte.
Auffällig ist in dieser Debatte auch die Rolle des Fraktionschefs der Christdemokraten, Dirk Toepffer. Stärker als alle anderen im Parlament ist er bekannt für nachdenkliche Reden, in denen auch mal ungewöhnliche und unerwartete Gedanken laut werden. So ist es auch diesmal. Er betont, dass die entscheidende Frage die ist, die auch von Modder angesprochen wurde: „Was ist die Gesellschaft bereit zu zahlen, um die Rettung von Menschen, etwa den Älteren, zu gewährleisten?“
Toepffers Antwort lautet, dass hier eben nicht die Ökonomen und die Virologen die Lösung geben könnten, sondern nur die Ethiker. Daher begrüße er den Vorschlag von Kirchen und Ärzten, einen Ethikrat zu berufen. Die Folgen der Krise würden die Gesellschaft langfristig beschäftigen, es gehe um die Zukunft der Reisekonzerne, der Meyer-Werft, der Hannover-Messe und auch des Flughafens Hannover. „Es kann jedenfalls nicht sein, auf die wachsenden Schwierigkeiten des Airport mit der Ausweitung der Nachtflugerlaubnis zu reagieren.“
Auch wir fühlten uns manchmal nicht gut informiert über das, was plötzlich in einer Verordnung stand.
Bemerkenswert ist Toepffers Rede aber vor allem, weil er in ihr scharfe Kritik an der Regierungsarbeit verpackt hat, ohne dass dies als ein Abrücken verstanden werden könnte. „Auch wir fühlten uns manchmal nicht gut informiert über das, was plötzlich in einer Verordnung stand“, sagt Toepffer, bezieht dabei die SPD-Fraktion mit ein. Später nennt er die aktuelle Rechtsverordnung in ihrer Systematik „schrecklich“. Ihn ärgere, dass vieles darin „nicht präzise formuliert wurde“. Aber die Fehler seien bemerkt und korrigiert worden, fügt Toepffer hinzu. So kriegt er gerade noch die Kurve in seiner Rede.