Grüne hadern mit Jamaika: „Langfristig kann es uns schaden“
Sind die Grünen nun auf dem Weg in eine gemeinsame Bundesregierung mit Union und FDP? Wer den niedersächsischen Landesparteitag der Grünen in Hameln am Sonnabend verfolgt, bekommt einen gegenteiligen Eindruck. Mehrere Redner, darunter die führenden Vertreter der Partei, warnen vor zu viel Entgegenkommen an Christ- und Freidemokraten. Sie bekommen dafür von den rund 180 Delegierten und Gästen kräftigen Applaus. Als Hauptredner tritt Jürgen Trittin auf, der Altvordere der niedersächsischen Grünen, der auch bei den Sondierungsgesprächen dabei ist. „Gegenwärtig liegen 12 Papiere mit Dissenspunkten vor“, berichtet Trittin und fügt hinzu: „Nun ist es Zeit, dass sich etwas ändert. Nicht wir wollen etwas, sondern Frau Merkel will wiedergewählt werden, und zwar auch mit unseren Stimmen. Dafür muss sie sich jetzt bewegen. Deshalb sage ich: Komm‘ mal rüber“, ruft Trittin unter tosenden Applaus in den Saal.
Trittin hatte vorher zwar hinzugefügt: „Nichts ist vorbei, bevor es nicht vorbei ist – und ebenso gilt: nichts ist vereinbart, bevor es nicht vereinbart ist.“ Dennoch hatte der Grünen-Politiker massive Bedenken zum derzeitigen Stand der Gespräche mit Union und Freidemokraten kundgetan. So sei es gar keine Frage, ob man den Ausstieg aus Verbrennungsmotoren für das Jahr 2030 festschreibe oder nicht: „Wenn wir es nicht tun, wird es der Machthaber in China tun, und zwar deutlich früher“, betonte Trittin. Ein anderes Thema, bei dem es derzeit in den Sondierungsgesprächen hake, sei die Frage nach Rüstungsexporten an die Kriegsallianz im Jemen. „Das müssen wir verhindern.“ Einen Lacherfolg erntete Trittin, als er von „einzigen Gemeinsamkeit zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen“ auf Bundesebene sprach: „Die Gemeinsamkeit ist, dass alle vorher geschworen hatten, mit den jeweils anderen niemals gemeinsam regieren zu wollen.“
In der Debatte auf dem Landesparteitag, die mit der Aufarbeitung des Ergebnisses der Bundestagswahl eingeläutet wurde, trugen mehrere Redner noch weitaus drastischer als Trittin Vorbehalte vor. Julia Verlinden, die Spitzenkandidatin der niedersächsischen Grünen für die Bundestagswahl war, sagte: „Es knirscht momentan gewaltig.“ Die Bundestagsabgeordnete Katja Keul aus Nienburg rief dazu auf, „einen weiteren Länderrat zwischenzuschalten“, bevor eine Jamaika-Koalition endgültig per Votum der Mitglieder festgelegt wurde. Die Landtagsabgeordnete Mirjam Staudte sagte gar, man müsse noch über einen „weiteren Bundesparteitag“ nachdenken. Bisher ist geplant, nach Ende der Sondierungsgespräche am 25. November auf einem Parteitag den Start der Koalitionsgespräche einzuleiten – aber danach dann nur noch einen Mitgliederentscheid vorzusehen, ohne vorherige Bewertung durch Länderrat oder Bundesparteitag.
Der hannoversche Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler meinte: „Eine Koalition mit Stillstand und Gefeilsche ist für uns nicht akzeptabel.“ Pieter Welge aus Wolfenbüttel ging noch weiter: Zwar sei nach Müntefering Opposition Mist, „aber Mist enthält ja biologisch jede Menge Lebenskraft“. Langfristig, meint Welge, könne Jamaika den Grünen mehr schaden als nützen – da die Koalitionspartner wie Umwelt- oder Friedensverbände die Freundschaft aufzukündigen drohen. Die frischgewählte Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat meinte: „Bei Sondierungen sollen sich die Partner gegenseitig beschnuppern. Das geht hier aber gar nicht, weil sich viele Politiker von Union, FDP und Grünen gegenseitig gar nicht riechen können.“
Einzig die scheidende Grünen-Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer aus Hildesheim, die in Hameln verabschiedet wurde, sah sich zu einer Mahnung veranlasst: „Denkt aber bitte auch daran: Mit 8,9 Prozent der Stimmen kann man nicht 100 Prozent des eigenen Programms in einer Koalition durchsetzen.“