Darum geht es: Die Sondierungsgespräche zwischen SPD und FDP endeten gestern nach 83 Minuten. Zum Schluss war klar, dass man derzeit nicht zueinander kommen will. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Ja, es kann jetzt tatsächlich sehr schnell gehen – und vermeintliche Klarheit kann entstehen. Wenn die Sondierungsgespräche zwischen SPD und CDU am Donnerstag Vormittag recht konstruktiv und sachorientiert verlaufen sollten, könnten die beiden Landesvorstände formell noch am Nachmittag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen. Dann wird es überall heißen: Künftig wird Niedersachsen von einer Großen Koalition regiert werden.

Doch Vorsicht vor zu viel Zuversicht in eine schnelle Regierungsbildung ist mehr als geboten. Sicher, die inhaltlichen Unterschiede zwischen sozialdemokratischen und christdemokratischen Vorstellungen sind nicht groß. Es heißt, in der CDU sei man mehrheitlich sehr erpicht auf eine Beteiligung an der Macht, und die SPD hat nach jetzigem Stand keine andere Option, denn für Rot-Grün allein reicht es nun mal nicht, und die FDP verschließt sich einer Ampel weiterhin strikt. Im Übrigen, auch das muss gesagt werden, sind die programmatischen Gegensätze zwischen SPD, CDU, Grünen und FDP insgesamt nicht unüberwindbar. Alle könnten irgendwie mit allen zusammen auskommen – an den Sachfragen jedenfalls liegt es nicht.

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Die Hürden bestehen im Zwischenmenschlichen, und auszuräumen wären sie nur mit überzeugenden vertrauensbildenden Gesten. Die FDP meint, in einer Ampel nur ein kleines Anhängsel eines in Freundschaft zusammengeschweißten rot-grünen Bündnisses zu sein. Das schreckt sie nachhaltig ab, und im Moment gibt es hier keine Lösung. Aber auch zwischen SPD und CDU stehen hohe emotionale Mauern. Ob die bei dem heutigen Sondierungstreffen durchbrochen werden, darf bezweifelt werden.

Auf beiden Seiten schmerzen nicht verheilte Wunden: Nicht irgendein SPD-Politiker, sondern Ministerpräsident Stephan Weil persönlich hat die CDU im Wahlkampf attackiert und ihr unterstellt, die durch Wahlen entstandenen parlamentarische Mehrheiten mit dem Abwerben von Abgeordneten nachträglich ändern zu wollen. Er hat aus dem Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU eine dreiste Dolchstoßlegende gestrickt, die zu einer tragenden Geschichte im SPD-Landtagswahlkampf wurde. Zu erklären ist das aus echter tiefer Enttäuschung von Weil gegenüber der CDU. Der im hannoverschen Rathaus konsensverwöhnte Oberbürgermeister traf seit 2013 im Landtag als Ministerpräsident auf eine harte CDU/FDP-Opposition, die jede Schwäche von Rot-Grün unerbittlich ausgenutzt hat.

Einige CDU-Politiker haben sehr oft auf eine „Rechtsbruchpolitik“ der Regierung geschimpft. Das war Unsinn, denn auch die frühere CDU/FDP-Landesregierung hat schon mal Prozesse vor dem Staatsgerichtshof verloren, ohne dass der Vorwurf der vorsätzlichen Rechtsverletzung auch nur im entferntesten berechtigt gewesen wäre. Wie wäre es, wenn sich Weil und CDU-Chef Bernd Althusmann zu Beginn ihres heutigen Treffens für die harten Angriffe der vergangenen Wochen, Monate und Jahre entschuldigen – und Besserung geloben? So etwas müsste von Herzen kommen, aus echter Einsicht, wenn es glaubwürdig sein soll. Aber sind die Politiker schon so weit? Vermutlich nicht.

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Natürlich kann eine Große Koalition auch ohne vorgeschaltete große Versöhnung auskommen. Doch dann wäre sie ein reines Zweckbündnis, von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Vermutlich könnte auf einer solchen Basis das Land nicht mit echten Reformen richtig vorangebracht werden. Niedersachsen hat aber eine gute Regierung verdient, deshalb sollten sich die künftigen Partner – wer immer es sein wird – schon Mühe geben, Gefallen aneinander zu finden. Es muss die Basis für Verlässlichkeit geschaffen werden.

Wie geht es weiter, falls SPD und CDU heute nicht zueinander finden sollten? Wenn bis 5. Dezember keine Koalition zustande kommt, muss bis 19. Dezember über vorgezogene Neuwahlen (die niemand will) im Landtag abgestimmt werden. Danach kann ein Ministerpräsident auch mit eine Minderheit des Parlaments gewählt werden. Aber das kann Stephan Weil nicht wollen, denn eine rot-grüne Minderheitsregierung setzt eine Tolerierung voraus, und dazu dürften weder CDU noch FDP bereit sein, und auf die Hilfe der AfD will sich Weil sicher nicht stützen. Ohne Tolerierung könnte der Landtag die Regierung vor sich hertreiben, das wäre für alle ein unwürdiges Spiel. Daraus folgt: Spätestens Anfang Dezember kann sich die momentan verfahrene Situation zur echten Regierungskrise ausweiten – und dann gelten neue Bedingungen, jede Partei muss sich dann neu entscheiden. Die FDP könnte sich in einer solchen Lage überwinden und aus staatspolitischer Verantwortung die Ampel ermöglichen – wenn Rot-Grün ihr vorher deutlich entgegenkommt. Oder die Grünen könnten in ein Jamaika-Bündnis unter Bernd Althusmann einwilligen, ein Schritt, der nach den Jamaika-Gesprächen auf Bundesebene ohnehin nicht mehr in allzu großer Ferne liegt. Oder CDU und SPD raufen sich dann richtig zusammen und begraben endlich die Streitaxt.

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