Göring-Eckardt sieht die Grünen nicht mehr als politisches „Beiboot“
In den Umfragen sind die Grünen schon ganz weit oben, die Zahl der Mitglieder ist in Niedersachsen inzwischen über die 9000er-Marke gesprungen, und jetzt wollen sie diese Erfolge in Regierungsverantwortung ummünzen. „Wir sollten groß denken und dafür kämpfen. Wir haben eine neue Rolle, die müssen wir mutig angehen“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Karin Göring-Eckardt, am Wochenende auf dem Landesparteitag der Grünen in Osnabrück.
Sie rechnete vor, dass die niedersächsischen Grünen mit den aktuellen Umfragewerten 17 Abgeordnete in den Bundestag schicken und auch einige Direktmandate erringen könnten. Es gebe keine Erbhöfe für CDU und SPD mehr, mahnte Göring-Eckardt.
Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick sagte sie, die Wahlerfolge der Grünen seien keine Ausnahmen mehr. „Wir sind nicht mehr das Beiboot, wir haben jetzt die Verantwortung für das Ganze.“ Die Grünen würden durch diese Entwicklung inzwischen auch anders angesehen, und das werde auch mit der Frage verbunden, wie umsetzbar die Konzepte der Partei seien. „Wir sind motiviert, in dieser Zeit endlich Verantwortung dafür zu übernehmen, was getan werden muss“, machte Göring-Eckardt deutlich. „Man kann ja auch nicht sagen: Die Große Koalition macht das schon irgendwie richtig, aber eben nicht genug. Sie macht es ja wirklich falsch.“ Die Zeit, um die Klimakrise noch zu bewältigen, sei aber endlich.
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Grüne fordern Abschiebestopp für Türkei-Flüchtlinge
Die Landesvorsitzende Anne Kura gab auf dem Parteitag als Ziel aus, bei der Kommunalwahl 2021 die Rathäuser zu erobern. Die Parteispitze rief zum Engagement auf. Man werde viele Kandidaten für Posten von Hauptverwaltungsbeamten benötigen. Eine Wahl gewonnen hat bereits Belit Onay, der neue hannoversche Oberbürgermeister der Grünen. Er sieht durch die jüngsten Wahlerfolge viele Gestaltungsmöglichkeiten. Er wolle in seiner neuen Funktion zum Beispiel Bleiberechtsperspektiven eröffnen statt Abschiebungen des Ministers umzusetzen, ebenso wie im Wahlkampf gefordert die autofreie Innenstadt in Hannover bis zum Jahr 2030. „Viele Menschen wollen genau das“, sagte Onay, und das seien viele und nicht unbedingt diejenigen, „die besonders laut seien und in den sozialen Netzwerken Hass“ verbreiteten.
Zentrales Thema in Göring-Eckardts Rede war die wachsende Kluft zwischen Stadt und Land. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei ein Verfassungsauftrag, sagte sie dem Rundblick. Deshalb müsse das umgesetzt werden, auch vom Bund. „Eine Garantie für Mobilität, für Gesundheits- und Pflegeversorgung und für schnelles Internet muss selbstverständlich werden“, forderte sie.
Die neue Grünen-Landrätin aus dem Kreis Osnabrück, Anna Kebschull, appellierte an die rund 200 Delegierten, auch die ländliche Perspektive zu beachten. Man könne nicht „jedes Windrad als Geschenk für die ganze Bevölkerung“ sehen, wenn gleichzeitig die Wertschöpfung woanders stattfinde. „Das ist einfach schräg, das kann nicht funktionieren. Lasst den ländlichen Raum auch an den Vorteilen partizipieren, wenn er schon die ganzen Nachteile ertragen muss“, forderte Kebschull.
Auf ihrem Parteitag beschlossen die Grünen einen sofortigen Abschiebestopp für Menschen, die aus der Türkei geflüchtet sind. Hintergrund ist die Festnahme zweier Vertrauensanwälte durch die türkischen Sicherheitsbehörden. Es müsse zwingend davon ausgegangen werden, „dass tausende Geflüchtete aus der Türkei einer konkreten Gefahr der Verfolgung durch türkische Stellen ausgesetzt seien“, heißt es in einem Antrag. Außerdem beschlossen die Grünen einen Antrag für mehr Artenschutz.
Gastredner Holger Buschmann, Vorsitzendes Naturschutzbundes in Niedersachsen (Nabu), sagte, es gebe einen massiven Artenschwund. „Irgendwas ist da gekippt, auch wenn wir es noch gar nicht so spüren. Wir haben ein dramatisches Problem.“ Die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung bezeichnete er als unbedeutend. „Landnutzung ist der größte Treiber des Artensterbens. Die aktuelle Agrarpolitik befördert uns hier ins Abseits. An der wird aber nicht gedreht.“
Grüne gegen „Wachse-oder-Weiche-Stragetie“ in der Landwirtschaft
Das beklagte auch der Grünen-Landesvorsitzende Hans-Joachim Janßen. „Diese Agrarpolitik schadet nicht nur Wiesen, Wässern und Luft, sondern auch den Landwirten selbst. Die Zahl der Betriebe geht weiter massiv zurück.“ Janßen forderte eine Abkehr von der „bedingungslosen Flächenförderung“. Stattdessen müsse es eine „Qualitätsförderung“ geben.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Miriam Staudte kritisierte die Agrarpolitik der CDU, die immer noch an der Strategie „wachse oder weiche“ festhalte. „Es muss immer größer werden, es muss immer kapitalintensiver werden.“ Es könne in der Landwirtschaft niemand mehr quereinsteigen, weil man Millionenbeträge benötige. Die Grünen kündigten an, das für das kommende Jahr geplante Nabu-Volksbegehren für mehr Artenschutz zu unterstützen.