Von Isabel Christian

„Jetzt zu 0 Prozent finanzieren!“ prangt in fetten Lettern neben dem Preis für ein neues Handymodell im Onlinekatalog eines Elektronikmarktes. Wer darauf klickt, erfährt, dass keine Zusatzkosten auf den Käufer zukommen und der Kreditvertrag ganz unkompliziert online abschließbar ist. Man müsse lediglich seine Identität per Videotelefonie bestätigen und den Vertrag mit einer Transaktionsnummer der Bank unterschreiben.

Mit 34.031 Euro fallen die meisten Schulden im Durchschnitt in einem Zwei-Personen-Haushalt an – Foto: Foto: Dan Race

Angebote wie diese gibt es viele. Für Telefonverträge, Handys, Fernseher und die Fernreise. Doch was so einfach klingt, führt viele Niedersachsen direkt in die Schulden und nicht selten in die Privatinsolvenz. 13.390 Anträge sind allein 2009 gestellt worden, das geht aus einer neuen Aufstellung des Landesamts für Statistik Niedersachsen (LSN) hervor, welches seine Frühjahrstagung in diesem Jahr dem Thema Schulden gewidmet hat. Die Statistik zeigt, dass die Schulden nicht nur für die Betroffenen ein großes Problem sind. Denn 11.448 Insolvenzverfahren endeten im vergangenen Jahr mit einer Restschuldenbefreiung. Die Wirtschaft und der Staat machten dadurch rund 460 Millionen Euro Verlust – allein durch die Personen, die 2009 in die Insolvenz eingetreten sind und deren Verfahren mittlerweile beendet ist.

Wer gerät besonders oft in die Schuldenfalle?

Seit 1999 können auch Privatpersonen in ein Insolvenzverfahren eintreten, wenn ihre Schulden ihnen jede Aussicht auf die Rückkehr in ein normales Leben aus eigener Kraft nehmen. Statistisch müssen die Verfahren aber erst seit 2009 erfasst werden. Sind die Schuldner kooperativ und bemühen sich, aus ihrer Situation herauszukommen, kann das Insolvenzgericht ihnen nach sechs Jahren alle Schulden erlassen. Daher sind die jetzt vorliegenden Zahlen die ersten, die ein Bild von der Lage der Privatinsolvenzen in Niedersachsen liefern können.

Demnach wurden 87 Prozent der Menschen, die 2009 in die Insolvenz gegangen sind, bis zum Ende des vergangenen Jahres entschuldet. Die meisten Schuldner, denen die Zahlungen erlassen wurden, leben in der Grafschaft Bentheim, hier haben 95 Prozent der Privatinsolventen einen Schuldenschnitt bekommen. Im Landkreis Cloppenburg dagegen bekamen nur 72 Prozent eine solche Lösung.

Doch wer gerät besonders oft in die Schuldenfalle? Aus welchen Gründen? Und wer kommt ohne eine Restschuldenbefreiung nicht mehr heraus? Antworten dazu liefert die Überschuldungsstatistik.  Sie setzt sich zusammen aus den Zahlen, die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen dem LSN liefern. Die Statistik hat jedoch einen recht großen „Schönheitsfehler“: „Die Teilnahme daran ist in doppelter Hinsicht freiwillig“, sagt Franziska Große, als Dezernatsleiterin im LSN unter anderem für Insolvenzen zuständig.

Denn nicht nur die Beratungsstellen können es sich aussuchen, ob sie Daten an das LSN liefern. Im vergangenen Jahr nahmen mit 101 von 271 Beratungsstellen in Niedersachsen weniger als die Hälfte teil. Auch die Schuldner selbst können entscheiden, ob ihre Daten zu statistischen Zwecken weitergegeben werden. „Deshalb basiert die Statistik auf Hochrechnungen, die sich nicht mit Vorjahresdaten und den Daten anderer Bundesländer vergleichen lassen“, sagt Große.

Bei Telefonanbietern und Versandhäusern fallen häufig Schulden an

Der Max Mustermann der niedersächsischen Schuldnerstatistik ist männlich, zwischen 44 und 55 Jahre alt, lebt allein und hat 28.452 Euro Schulden. Mit der Rückzahlung der an ihn gestellten Forderungen sieht es nicht gut aus, denn Mustermann ist arbeitslos, obwohl er eine Berufsausbildung hat. Allerdings war es der Jobverlust, der ihn erst so tief in die Schulden getrieben hat. Nun steht er bei fünf bis neun verschiedenen Gläubigern, darunter dem Staat und sein Telefonanbieter, in der Kreide und muss auch noch den Ratenkredit abbezahlen. Allein der Kredit lastet mit 7998 Euro auf ihm.

Das Beispiel vereint alle Eigenschaften, die in der niedersächsischen Schuldnerstatistik besonders oft vorkommen. Einzeln betrachtet, lässt die Statistik noch ganz andere Aussagen zu. Etwa, dass mit 34.031 Euro die meisten Schulden im Durchschnitt in einem Zwei-Personen-Haushalt anfallen. Oder dass von den 32.052 Paaren, die sich beraten ließen, mehr als ein Drittel kinderlos ist, dafür aber 41.928 Euro Schulden angehäuft hat. Allerdings bilden mit 47,6 Prozent die alleinlebenden Menschen die größte Gruppe der Schuldner.

51 Prozent der Beratenen haben eine Ausbildung oder ein Studium absolviert, mit 45,4 Prozent steht ihnen aber eine fast ebenso große Gruppe Schuldner gegenüber, die nicht mehr als einen Schulabschluss hat. Mit 42 Prozent ist die große Mehrheit derer, die wegen Schulden zur Beratung kommt, arbeitslos. Auch in der Altersstruktur gibt es Abweichungen vom Musterbeispiel. So steht die Hälfte aller Schuldner zwar bei öffentlichen Gläubigern in der Kreide, über zwei Drittel der Betroffenen zwischen 20 und 25 Jahren allerdings haben Schulden beim Telefonanbieter gemacht, ein Drittel bei Versandhäusern. Die Hälfte der über 65-Jährigen dagegen hat vor allem Schwierigkeiten, den Ratenkredit abzubezahlen.

Rund 20 Prozent der Schuldner gelingt es, durch die Beratung ihr Haushaltseinkommen zu stabilisieren, 40 Prozent konnten verhindern, dass sie entlassen werden.

Antje Pund, Sozialministerium

„Angesichts des wirtschaftlichen Schadens und der Entwicklungen auf dem Arbeitskräftemarkt wird die Schuldnerberatung ein immer wichtigeres Thema in der Politik“, sagt Antje Pund, Ministerialrätin im Sozialministerium und zuständig für Grundsatzangelegenheiten der Sozialpolitik. Denn auch wenn die Zahl der Arbeitssuchenden immer weiter zurückgeht, die Langzeitarbeitslosen sind immer schwieriger zu vermitteln, wie Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Und Schulden sind einer der Hauptgründe, warum diese Menschen keine Arbeit finden.

In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll jetzt erarbeitet werden, wie Menschen besser davor geschützt werden können, überhaupt Schulden anzuhäufen. „Eine Idee etwa ist, die Kreditwirtschaft mit ins Boot zu holen“, sagt Pund. Denn es sei im Zeitalter des Onlineshoppings viel zu einfach, an neue Kredite heranzukommen. Eine Schufa-Abfrage nach der Bonität wird oft gar nicht mehr gemacht, etwa beim Handykauf auf Raten im Onlineshop.

Einen großen Wert misst Pund der Schuldnerberatung bei. „Rund 20 Prozent der Schuldner gelingt es, durch die Beratung ihr Haushalteinkommen zu stabilisieren, 40 Prozent konnten verhindern, dass sie entlassen werden.“ Und in fast drei Viertel der Fälle konnten die Berater die Ängste der Schuldner lindern. Allerdings liegt hier ein größer werdender Druck auf den Beratungsstellen. Denn die Berater müssen sich nicht nur in der Tilgung von Schulden auskennen, sondern auch psychosoziale Kompetenzen haben.

„Weil die Beratung so viel bewirkt, wollen wir einen Rechtsanspruch auf eine Schuldnerberatung“, sagt Pund. Doch momentan gebe es noch Schwierigkeiten in der Frage, wer das Recht bezahlen soll. Der Bund? Oder die Kreditwirtschaft, die die Überschuldung in ihre Geschäftsmodelle einpreist? „Auf jeden Fall gibt es in diesem Bereich noch viel zu tun“, sagt Pund.