Forscher grübeln: Bedeutet Digitalisierung das Ende des klassischen Facharbeiters?
Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Arbeitswelt nachhaltig. In welcher Form das geschieht und welche Konsequenzen daraus folgen können, wird jetzt im neuen Heft der Reihe „Neues Archiv Niedersachsen“ beschrieben. Die „Wissenschaftliche Gesellschaft zum Studium Niedersachsens“ unter Leitung von Arno Brandt beleuchtet dabei unterschiedliche Aspekte. Ein Beitrag betrifft beispielsweise die Zukunft des klassischen Facharbeiters – eines Arbeitnehmers, der seine Tätigkeit auf eine solide duale berufliche Ausbildung stützt und in einer Mischung aus speziellen Kenntnissen und beruflicher Erfahrung seine Leistung abliefert. Wird dieser bisher in der Arbeitswelt beherrschende Typus künftig noch dominant sein?
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Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) beschreibt am Beispiel des Maschinenbaus, dass es hier einerseits sehr stark auf Flexibilität, Innovations- und Reaktionsgeschwindigkeit ankomme. Früher hätten Facharbeiter noch mit langjähriger Erfahrung und interner Weiterbildung vorankommen können, jetzt werde dieser Karriereweg deutlich schwieriger. Zwar komme es im Maschinenbau auch künftig vor allem auf Handarbeit an.
Aber es könnten verstärkt angelernte Kräfte zum Einsatz kommen – Produkte würden vermutlich eine geringere Komplexität haben und verstärkt nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt werden. Standardisierung und Arbeitsteilung würden zunehmen. Das Ende des klassischen Facharbeiters drohe gleichwohl nicht, da es daneben immer noch genügend Produkte geben werde, die eher komplexer werden.
Kapital und Arbeitskräfte drohen nach Süddeutschland abzuwandern
Arno Brandt und Hans-Ulrich Jung beschreiben in ihrem Beitrag, dass bei der Digitalisierung ein Süd-Nord- und ein West-Ost-Gefälle sichtbar sei. Je südlicher und westlicher das Bundesland, desto weiter sei man bei der Digitalisierung und vor allem ihren technischen Voraussetzungen. Es bestehe die Gefahr, dass Kapital und Arbeitskräfte eher in südliche Bundesländer abwandern. Mit Blick auf die Versorgung mit Breitbandanschlüssen liege Niedersachsen bei den westlichen Bundesländern nur vor Rheinland-Pfalz und dem Saarland, in allen übrigen Ländern sei man schon weiter. Die regionalen Unterschiede seien groß – unterversorgte Gebiete lägen vor allem in Nordost-Niedersachsen, also nördlich von Wolfsburg und östlich von Uelzen und Lüneburg.
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Was den Grad der Digitalisierung in der Wirtschaft angehe, hätten die hiesigen Betriebe in den vergangenen fünf Jahren ihre Position im Großen und Ganzen gehalten, aber auch keine starken Zuwächse erzielt. Hessen, Bayern und Baden-Württemberg würden deutlich vor Niedersachsen liegen. Gut vorbereitet seien Teile der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg. In den Kreisen Emsland, Ammerland und Verden gebe es bundesweit führende Cluster der Agrartechnik, auch das sei beispielhaft. Bei Fahrzeug-, Agrar-, Gesundheitstechnik und Robotik habe Niederachsen „durchaus herausragende Forschungseinrichtungen“, meinen die Autoren.
Beim „Internet der Dinge“ liegt Niedersachsen im Mittelfeld
Was die Patente beim „Internet der Dinge“ angeht, liegt Niedersachsen zwischen 2006 und 2015 mit 846 Anmeldungen auf Platz sieben der Länder, also im Mittelfeld. Eine Region, nämlich Hannover, liege im bundesweiten Vergleich in der Spitzengruppe, nämlich auf Rang elf. Die Studentin Laura Thäter und Prof. Thomas Gegenhuber aus Lüneburg beleuchten die Frage, inwieweit die Digitalisierung die Entscheidungsprozesse in der Arbeitswelt ändert – und wie Mitbestimmung gesichert werden kann.
Sie beschreiben ein Negativ-Szenario, in dem weniger international tätige Konzerne die Arbeitsbedingungen vieler vereinzelter, formal selbstständig tätiger Mitarbeiter bestimmen – und diese nach ihren Vorstellungen unter Druck setzen können. So könnten Versandhandel organisiert sein, aber auch Taxi-Dienste wie Uber – künftig womöglich auch viele andere Branchen. Da das klassische Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer nicht mehr existiert, seien die Mitarbeiter den Konzernen völlig ausgeliefert.
Plattform-Genossenschaften als Gegenmodell
Dagegen stellen die Autoren nun das Modell der „Plattform-Genossenschaften“. Die Beschäftigten und auch die Nutzer oder Kunden könnten Mitglieder der Genossenschaft werden, folglich auch über Arbeitsbedingungen bestimmen. Über Crowdfunding, also eine Form der Gruppen-Finanzierung, könne das nötige Kapital beschafft werden. Der Staat könne auch helfen. Hier sei Italien ein Vorbild, denn die dortige Verfassung räume Genossenschaften ein Privileg beim Anspruch auf staatliche Unterstützung ein. Ein Vorteil sei auch, dass diese Unternehmensformen stärker Rücksicht auf regionale Besonderheiten nehmen könnten.
Arno Brandt, Wissenschaftliche Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e.V. (Hrsg.): Digitalisierung in Niedersachsen, Neues Archiv für Niedersachsen II/2019, 196 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-529-06471-5