Wiederholt ist es vorgekommen, dass Flüchtlinge bei der Einreise nach Deutschland falsche Angaben über ihr Alter gemacht haben. Wenn sie als „unbegleitete Minderjährige“ eingestuft werden, haben sie Anspruch auf Schutz, einen Heimplatz und Betreuung – das ist ein Unterschied zu denen, die als Erwachsene einreisen. Was kann man nun tun, um die Angaben der Geflüchteten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen? Im Sozial- und im Innenausschuss hat gestern Barbara Gentsch, Referatsleiterin für Grundsatzfragen der Jugendhilfe im Sozialministerium, über das Problem berichtet. Sie erklärte, dass neuartige und in einigen Kommunen angewandte Verfahren wie eine DNA-Probe oder eine Kontrolle der Handknochen mit einem neuartigen Scanner keinesfalls zuverlässig seien. Diese Wege seien also abzulehnen. Vorgegeben sei den Behörden nämlich, dass eine Feststellung der Altersangabe nur mit möglichst schonender ärztlicher Untersuchung und mit „zuverlässigen Methoden“ zu geschehen habe. Es komme darauf an, dass die Betroffenen in ihrer körperlichen Unversehrtheit geschützt blieben.

Der Handscanner, nach dem sich vor allem die Abgeordneten der AfD erkundigt hatten, soll am Unterarmknochen und am Handgelenk messen, wie alt der Betreffende tatsächlich ist. Nach Angaben von Gentsch ist diese Methode einst entwickelt worden, um das Alter von Frauen zu prüfen, die womöglich als Minderjährige zur Prostitution gezwungen wurden. Bei Frauen sei das System wegen der früheren körperlichen Reife relativ verlässlich. Da die Pubertätsentwicklung bei Männern aber einen anderen Verlauf habe und diese oft erst später Veränderungen ihrer Unterarmknochen hätten, eigne es sich für die Überprüfung der Altersangabe von Männern nicht. Weil nun 90 Prozent der unbegleiteten Flüchtlinge kein weibliches Geschlecht hätten, falle diese Methode zur Kontrolle aus. Auch der Münsteraner Rechtsmediziner Prof. Andreas Schmeling bestätigt diese Vorbehalte: Die Handscanner seien bisher zu wenig erprobt, um als verlässliches Erkennungsinstrument dienen zu können.

 

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Schmeling, der in seiner Praxis schon in rund 1000 Fällen junge Erwachsene auf ihr Alter überprüft hat, rät zu einer anderen Methode – einem dreistufigen Verfahren. Zunächst gehe es um eine normale ärztliche Untersuchung. Im zweiten Schritt soll dann in einer Röntgen-Analyse festgestellt werden, wie sich das Wachstum von Gebiss und Handknochen entwickelt hat. Wenn man anschließend noch nicht ausgeschlossen hat, dass der Untersuchte jünger als 18 ist, müsse der dritte Schritt folgen, nämlich eine Röntgen-Untersuchung des Schlüsselbeins. Die Risiken hält Schmeling für begrenzt. Dass die Betreffenden bei mehreren Durchleuchtungen zu viel Strahlung auf sich nehmen müssten, sei kein Risiko – denn die Dosis sei geringer als die natürliche Strahlung, die beim Aufenthalt in der Natur aufgenommen wird. Außerdem könne eine solche Untersuchung, wenn sie zügig verläuft, binnen einer Stunde erledigt werden – sie würde einmalige Kosten von rund 1500 Euro verursachen. Bei Menschen, die älter als 25 sind, sei die Gewissheit sehr hoch, das richtige Alter zu erkennen. Bei 22- bis 23-Jährigen könne jeder zweite sicher identifiziert werden, bei 19-Jährigen nur eine Minderheit.

Nach Auskunft von Gentsch hatte der Kreis Hildesheim 2016 eine DNA-Analyse bei einem Flüchtling angeordnet, der behauptet habe, minderjährig zu sein. Die Proben hätten dann in Kalifornien untersucht werden müssen, weil nur das dortige Labor die Lizenz dazu hatte. Erst nach einem halben Jahr seien die Ergebnisse gekommen – und das tatsächliche Alter sei auf mindestens 26 festgelegt worden. Allerdings, so betont das Sozialministerium, sei es hier das biologische Alter gewesen, nicht das chronologische. Zweifel an der Methode seien also weiterhin angebracht.

Belit Onay (Grüne) meint, sämtliche Verfahren zur Altersfeststellung seien nicht zweifelsfrei, eine medizinische Indikation sei „nicht verhältnismäßig“. Die falschen Altersangaben seien auch kein flächendeckendes Problem, sondern Einzelfälle. Die Landesregierung solle daher die vielfältigen Methoden, die die Kommunen anwenden, unterbinden. Jan-Christoph Oetjen (FDP) hält dagegen die von Prof. Schmeling dargestellte Methode für angemessen und vertretbar. Bei den Kommunen herrsche Unsicherheit über den richtigen Weg, hier müsse die Landesregierung „einen eindeutigen Leitfaden“ entwickeln.