Finanzausgleich der Kassen soll besser vor Manipulationen geschützt werden
Das niedersächsische Sozialministerium schlägt vor, den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen manipulationssicherer zu machen. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte eine Debatte über die Fehler im System ausgelöst, als er im Oktober zugab, dass die Krankenkassen beim Finanzausgleich schummeln. Manche Kassen haben höhere Ausgaben, weil sie zum Beispiel im Durchschnitt ältere und kränkere Mitglieder haben – durch den Finanzausgleich sollen bundesweit solche Unterschiede ausgeglichen werden. Grundlage für die Berechnung ist die Häufigkeit der Diagnosen für bestimmte Krankheiten.
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Das System führt nun aber dazu, dass die Kassen Ärzten zum Beispiel Sonderprämien zahlen, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen als er ist. Aus Verträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten geht auch eindeutig hervor, dass die Vergütung für die Ärzte mit der Zahl der festgestellten Diagnosen steigt. Entscheidend für die Kassen ist dabei, dass die Diagnose für den Ausgleich korrekt kodiert wird. So heißt es auch in einem Vertrag zwischen einer Kassenärztlichen Vereinigung und der Techniker Krankenkasse unter jedem Punkt: „Vergütung nur bei gesicherter, vollständig kodierter Diagnose.“
Claudia Schröder, Leiterin der Abteilung „Gesundheit und Prävention“ im Sozialministerium, forderte gestern im Sozialausschuss des Landtags, das System weiter zu entwickeln. „ Es müssen Standards festgelegt werden, wie kodiert wird. Und Verstöße gegen die Standards sind auch entsprechend zu ahnden“, sagte Schröder. Auch Sozialversicherungsexperte Stephan von Hanselmann aus dem Ministerium hält verbindliche Kodierrichtlinien mit Sanktionsmöglichkeiten für einen großen Schritt. „Dann hätten Krankenkassen auch die Möglichkeit, vertraglich gegen Fehlkodierungen vorzugehen.“
Auch Krankenkassen sehen den Finanzausgleich inzwischen äußerst kritisch. „Er ist manipulationsanfällig und präventionsfeindlich“, heißt es in der Stellungnahme der IKK Classic an den Sozialausschuss. Seine wettbewerblich bedeutsame Verteilungswirkung sei grob ungerecht geworden, und die Schere zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ drifte merkbar auseinander. Die Krankenkasse fordert, Manipulationsanreizen entgegenzuwirken. Solange es keine verbindliche und sanktionierbare Diagnosekodierung geben, hätten „sowohl Kassen als auch Ärzte ein betriebswirtschaftlich motiviertes Interesse daran, die dokumentierte Morbidität (Häufigkeit von Krankheiten, d. Red.) zu erhöhen“. Auch der Verband der Ersatzkassen hält laut seiner Stellungnahme die aktuelle Regelung nicht für geeignet, „für faire Bedingungen im Wettbewerb der Krankenkassen zu sorgen“ und spricht von einem regelrechten Kodierungswettbewerb.
Für mehr Gerechtigkeit könnte auch eine Erhöhung der Zahl der Krankheiten sorgen, nach denen sich der Finanzausgleich richtet. Aktuell orientiert sich der Ausgleich an 80 Krankheiten, die die Kassen deutlich mehr kosten als üblich. Im Sozialministerium hält man es aus fachlicher Sicht für sinnvoll, mehr Krankheiten in den Katalog aufzunehmen. Das sehen auch viele Krankenkassen so. Einige Kassen plädieren zum Beispiel dafür, seltene Krankheiten, die in der Therapie besonders teuer sind, in den Katalog aufzunehmen.
Einen neuen Regionalfaktor bei der Berechnung des Ausgleichs sehen die Experten im Sozialministerium dagegen eher kritisch. Sie befürchten, dass Niedersachsen dabei eher Gelder an andere Bundesländer wie zum Beispiel Bayern verlieren könnte. Einige Kassen wünschen sich allerdings eine angepasste regionale Verteilung, weil Patienten in Ballungsräumen mit hoher Versorgungsdichte als teurer gelten als Patienten auf dem flachen Land.
Entscheidungen auf Bundesebene sind allerdings erst nach der Bundestagswahl zu erwarten. Das Bundesgesundheitsministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ergebnisse sollen erst im September vorliegen – termingerecht für die Koalitionsgespräche nach der Wahl.