Während sich die Hinweise auf organisatorische Fehler im Verfassungsschutz verdichten, hat Innenminister Boris Pistorius (SPD) Ende vergangener Woche die Reißleine gezogen. Er entschied sich nicht, wie viele erwartet hatten, die Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger in den einstweiligen Ruhestand zu schicken. Vielmehr verkündete Pistorius‘ Sprecher, dass der Minister eine dreiköpfige interne Untersuchungskommission seines Ministeriums beauftragt habe, bis zum morgigen Dienstag die kursierenden Vorwürfe zu prüfen. Dabei geht es um die Frage, ob organisatorische Mängel in der Behörde dazu geführt haben können, dass die linksextremistische Szene in Göttingen einen V-Mann enttarnen und an den Pranger stellen konnte. Ein Bespitzelter hatte zuvor vor dem Verwaltungsgericht Hannover auf Herausgabe der Akten über ihn geklagt – und wegen eines Fehlers in der Behörde wurden Unterlagen übermittelt, aus denen Rückschlüsse auf den Hinweisgeber gezogen werden konnten. Die parlamentarische Aufarbeitung dieses Falls im Landtagsausschuss für Verfassungsschutz konzentrierte sich bisher auf die Frage, ob menschliches Versehen des einzelnen Mitarbeiters ursächlich für die schwere Panne war – oder ob die internen Regeln beim Verfassungsschutz zur Weitergabe von Unterlagen an die Gerichte nicht klar genug definiert oder kommuniziert wurden.

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Die FDP und die Grünen haben den von Pistorius eingeschlagenen Weg scharf attackiert. Der Leiter der Untersuchungskommission soll Prof. Jürgen Sucka sein, Abteilungsleiter im Innenministerium für Digitale Verwaltung und Informationssicherheit. FDP-Fraktionschef Birkner nannte ihn „einen abhängigen, weisungsgebunden Beamten“. Das trifft nicht nur deshalb zu, weil Sucka in die Hierarchie des Innenministeriums eingebunden ist. Er ist außerdem noch nicht volle zwei Jahre auf seiner Abteilungsleiterposition, das Kabinett muss deshalb noch über seine dauerhafte Verwendung auf dieser Stelle entscheiden. Birkner erklärte: „Das wissen wir doch heute schon, was der Ermittler feststellen wird: Dass es nur ein individuelles Versagen eines Mitarbeiters war und die Spitze der Behörde damit entlastet wird.“ Nur ein Sonderermittler, meinen Birkner und Grünen-Sprecherin Julia Hamburg, könne die notwendige Unabhängigkeit bieten. Das Verfassungsschutzgesetz sieht vor, dass dieser Sonderbeauftragte vom Ausschuss für die Angelegenheiten des Verfassungsschutzes mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder berufen werden kann, er kann dann Einsicht in interne Akten verlangen. „Wir erwarten, dass SPD und CDU diesen Weg mittragen“, erklärten Birkner und Hamburg. Ein CDU-Sprecher erklärte, am Montag werde der Fraktionsvorstand darüber beraten. Ein SPD-Sprecher verwies auf die Sucka-Untersuchungsgruppe, deren Resultat bald vorliege. Birkner meinte, auch bei einer Entlassung der Verfassungsschutzpräsidentin mache die Sonderermittlung Sinn: „Es geht ja darum, dass Vorkehrungen getroffen werden, damit solche Fehler nicht wieder passieren können.“

In Landtagskreisen kursieren nun mehrere Einschätzungen zu den aktuellen Vorgängen. Die einen sehen in der Beauftragung von Sucka den Versuch des Ministers, Zeit zu gewinnen und so seine oberste Verfassungsschützerin über ein verständniserweckendes Ergebnis der internen Überprüfung zu retten. Man wolle der CDU, die seit jeher kritisch zu Brandenburger steht, den Triumph ihrer Ablösung nicht gönnen. Andere meinen, der Ausgang der ministeriumsinternen Untersuchung sei völlig offen und könne das Schicksal von Brandenburger rasch besiegeln, nämlich dann, wenn sich Hinweise auf strukturelle Mängel in der Bearbeitung von Auskunftsbegehren beim Verfassungsschutz bestätigen sollten. Der Verdacht war laut geworden, nachdem in verschiedenen Gremien über die Pannen rund um den enttarnten V-Mann berichtet worden war.

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