Darum geht es: Der Landtag hat gestern über den CDU-Beschluss zur doppelten Staatsbürgerschaft debattiert. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Die Phantom-Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft hat es vom CDU-Parteitag in Essen bis in den niedersächsischen Landtag geschafft. Auch hier wurde gestern deutlich, dass es eine Kehrtwende beim Doppelpass nicht geben wird, weil nirgends eine politische Mehrheit dafür im Ansatz sichtbar ist. Neben der Ablehnung bei SPD, Grünen und FDP geht auch bei der CDU ein Riss durch die Reihen. Am Rednerpult stand CDU-Generalsekretär Ulf Thiele, der zwar mögliche Nachteile der doppelten Staatsbürgerschaft als Reminiszenz an die CDU-Befürworter des Parteitagsbeschlusses brav vortrug, selbst aber gegen den Beschluss gestimmte hatte. Selbst wenn sich die CDU in dem Vorhaben einig wäre, so gibt es abseits der rechtspopulistischen AfD keinen Partner, mit dem sich diese Idee aus der politischen Mottenkiste in reale Politik umsetzen ließe.

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Dabei ist die ganze Diskussion ein Paradebeispiel für das Wort des Jahres „postfaktisch“. Denn in der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft geht es eher um ein Gefühl als um gelebte Wirklichkeit. Den Beweis, dass die zahllosen Menschen, die in Deutschland mit zwei Pässen leben, ein Problem für die Integration darstellen, bleiben die Kritiker schuldig und zeigen damit: Integration bemisst sich nicht an der Zahl der Pässe. Viele Menschen fürchten, dass infolge der Globalisierung der eigene Standort ins Wanken geraten könnte. Das ist verständlich. Eine Refokussierung auf die Nation und eine Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft transportiert dabei aber nur ein antiquiertes Bild der Staatsangehörigkeit und trennt in ein „Wir“ und ein „Sie“, das weder sinnvoll noch angemessen ist. Inzwischen kann auch, wer in Bad Gandersheim, Wildeshausen oder Damme geboren ist, unter bestimmten Bedingungen die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Warum auch nicht?

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Die Diskussion ist schädlich, weil sie vom Thema ablenkt. Denn natürlich müssen wir uns über Regeln und Zielsetzungen bei der Integration Gedanken machen. Vor allem in so manchem Viertel vieler Städte lässt sich heute begutachten, wie gescheiterte Integration aussieht. Manche Polizisten treibt es zur Verzweiflung, Sozialarbeitern bringt es Arbeit, und manchen Buchautoren wie Thilo Sarrazin hat es ungeahnte Auflagenerfolge beschert. Eine offene und ehrliche Debatte über das, was wir zu leisten haben aber auch über das, was wir von Zuwanderern erwarten müssen, ist abseits aller Willkommenskultur-Rhetorik vonnöten. Das hat aber absolut nichts mit der Diskussion über den Doppelpass zu tun. Die CDU hat uns eine falsche Diskussion im richtigen Themenfeld beschert.

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Die SPD wiederum sollte sich in der Debatte nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Zum einen gibt es zahlreiche Parteimitglieder, die in Fragen der Integrationserfordernisse deutlich näher an der Union als an ihrer eigenen Partei sind. Die SPD gibt sich gerne weltoffener, als es viele ihrer Mitglieder in der Realität sind. Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit könnte einer der Gründe für das demoskopische Desaster der vergangenen Jahre sein. Zum anderen ist es unlauter, von der CDU immer zu fordern, den rechtskonservativen Flügel wieder einzufangen, bei jedem CDU-Beschluss oder CDU-Statement rechts der Mitte dann aber immer gleich die verbale Populismus-Keule zu schwingen. Damit macht man weder die AfD kleiner, noch die CDU erfolgloser. Die SPD schadet damit allein sich selbst.

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