Darum geht es: Die niedersächsische SPD hat den Landesvorsitzenden Stephan Weil mit 100 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. Zuvor hatte Weil in seiner Rede vor allem die CDU scharf angegriffen. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Macht macht sexy, aber auch schon allein Machtoptionen sorgen für Attraktivität. Der SPD-Spitzenkandidat auf Bundesebene, Martin Schulz, hat derzeit das Problem, dass ihm nahezu jegliche Machtoption fehlt. Wenn das Ergebnis der Bundestagswahl den jetzigen Umfragen gleichen sollte, könnte die einzige Chance einer Regierungsbeteiligung für die SPD die weitere Rolle des Juniorpartners in einer großen Koalition sein. Andere Möglichkeiten, selbst eine Regierung zu bilden, gibt es für Schulz dann nicht. Eine denkbar schlechte Ausgangslage für den Wahlkampf.

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Die Situation in Niedersachsen ist anders. Auch hier hat der SPD-Spitzenkandidat keine ganz einfache Ausgangslage. Die Vergabeaffäre nervt, die Unterrichtsversorgung ist stark verbesserungsbedürftig, der Zusammenhang zwischen VW-Beteiligung und Dieselkrise wird für die Politik teilweise zum Spießrutenlaufen und in den Umfragen zur Landtagswahl liegt die CDU vorne. Umso erstaunlicher ist es, wie Stephan Weil auf dem SPD-Parteitag am Sonntag auftrat. Während der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in Berlin zusehends verkrampft, gibt sich der niedersächsische SPD-Spitzenkandidat in Hannover locker und angriffslustig.

Stephan Weil und Martin Schulz haben beide auf Parteitagen 100 Prozent der Stimmen bekommen, dennoch gibt es zwischen ihnen einen entscheidenden Unterschied: Weil hat noch alle Chancen

Das liegt auch daran, dass die Wahl in Niedersachsen nach wie vor völlig offen ist. CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann ist bisher den Beleg dafür schuldig geblieben, dass er das Land besser führen kann als Weil. Beobachter sind teilweise erstaunt und fragen sich, ob Althusmann mit angezogener Handbremse unterwegs ist. Das macht Weil den Wahlkampfstart leichter. Die aktuelle Schwäche der SPD, die sich aus dem Regierungshandeln ergibt, wird nicht automatisch zur Stärke der CDU. Die Abstände beider Parteien in den Umfragen sind nicht so groß, als dass es bis Mitte Oktober nicht noch relevante Verschiebungen zugunsten der SPD geben könnte. Sollte die SPD am Ende doch als erster durchs Ziel gehen, ergeben sich für ihn neue Möglichkeiten. Selbst wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte, ein mögliches Ampelbündnis würde zumindest nicht an Weil scheitern.

in kampflustige Rede, viel Applaus und ein 100 Prozent-Ergebnis bei der Wahl zum Spitzenkandidaten geben Weil nun Rückenwind. Seine Angriffe auf die CDU waren ein guter Stimmenfänger bei den Delegierten des SPD-Parteitags. In der Welt außerhalb von Parteitagen wird das dagegen keine große Rolle spielen. Hier wird es zum einen darauf ankommen, wie Weil seine Pläne für die kommenden fünf Jahre beschreiben kann. Wer genügend Wohnraum, bessere Internetverbindungen auf dem Land und eine bessere Unterrichtsversorgung verspricht, der muss sich immer fragen lassen, was er denn eigentlich in den vergangenen Jahren in der Regierungsverantwortung gemacht hat. Auf der anderen Seite wird Weil im Wahlkampf seine Stärken ausspielen können. Er ist auch nach viereinhalb Jahren als Ministerpräsident auf dem Boden geblieben, kann gut zuhören, wirkt empathisch.

Der SPD-Parteitag hat deutlich gemacht, dass das Rennen in Niedersachsen trotz aller Fehler der Landesregierung in den vergangenen Monaten alles andere als entschieden ist. Stephan Weil und Martin Schulz haben beide auf Parteitagen 100 Prozent der Stimmen bekommen, dennoch gibt es zwischen ihnen einen entscheidenden Unterschied: Weil hat noch alle Chancen.

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