Erdgas-Industrie hofft auf ein Revival ihrer Branche und liebäugelt mit Fracking
Die Renaissance der Gas-orientierten Energieversorgung in Deutschland weckt beim Bundesverband Erdgas, Erdöl, Geoenergie (BVEG) leise Hoffnungen auf eine Rückbesinnung auf die heimische Förderung. „Eine Strategie zur Gasversorgung in Deutschland kann sich nicht im Kern auf den LNG-Weltmarkt mit all seinen Unsicherheiten verlassen“, erklärte BVEG-Hauptgeschäftsführer Ludwig Möhring am Dienstag bei der Jahrespressekonferenz des Lobbyverbands.
Er sorgt sich, dass die zu hohen Gas- und Strompreise die Volkswirtschaft noch für Jahre unter Druck setzen könnten. Von den landläufigen Einschätzungen zu einer neuen Normalität, einer Rückkehr zu alten Energiepreisen oder einem Ende der Energiekrise nach dem kommenden Winter hält Möhring wenig. „Von Normalität kann keinesfalls gesprochen werden und mir ist nicht klar, mit welchen Fakten die Behauptung unterlegt wird, die Krise sei 2024 überwunden.“
„Mir ist nicht klar, mit welchen Fakten die Behauptung unterlegt wird, die Krise sei 2024 überwunden.“
Dass man sich bei der Bewältigung der Energiemangellage allein auf den Bau von LNG-Terminals und Sparappelle verlässt, hält er zudem für riskant. Mit den Terminals verbessere man zwar den Zugang, aber die Preise für die Energie würden dadurch nicht niedriger. „Die Preise sind massiv gestiegen, weil Europa Asien das Erdgas wegkauft“, erläuterte Möhring zu den Mechanismen am internationalen Gasmarkt. „Bei allem Bemühen um einen reduzierten Erdgasverbrauch: wesentlicher Teil der Lösung ist ein möglichst hohes Erdgasangebot, das die Preise senkt“, stellte der BVEG-Chef fest. „Die Energiekrise macht es notwendig, sich auch den Potenzialen hier vor Ort neu zu öffnen.“
Doch kann die Erdgas-Förderung in Deutschland wirklich signifikant etwas an einer Gasmangellage ändern? Die größten deutschen Erdgasvorkommen finden sich noch immer in Niedersachsen, fast 99 Prozent der geförderten Moleküle kommen aus niedersächsischem Boden. Zwischen Weser und Ems wurden im vergangenen Jahr rund 2,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert, zwischen Elbe und Weser waren es gut 1,9 Milliarden Kubikmeter und westlich der Ems noch einmal rund 348 Millionen Kubikmeter. Alle weiteren Vorkommen mit eingerechnet wurden in Deutschland im Jahr 2022 rund 4,8 Milliarden Kubikmeter Gas aus der Erde geholt. Die Tendenz ist allerdings sinkend, in beiden Vorjahren waren es noch je rund 5,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus deutscher Förderung. Wie gering diese Mengen aber tatsächlich sind, wird deutlich, wenn man sich den Energiebedarf unseres Industrielandes anschaut. Die geförderte Erdgasmenge deckt nämlich gerade einmal 5,5 Prozent des deutschen Bedarfs ab. Diese Quote ist im Vergleich zum Vorjahr allein deshalb leicht angestiegen, weil der Gasverbrauch insgesamt zurückgegangen war.
Möhring geht derweil davon aus, dass sich der Erdgasbedarf in Zukunft zu bis zu 20 Prozent aus heimischer Förderung decken ließe. Dazu müsste man sich allerdings an die überaus umstrittene Förderung von Schiefergas heranwagen. Bei der konventionellen Förderung werde es in Zukunft lediglich darum gehen, die 5-Milliarden-Marke zu halten, erklärte Möhring. Und selbst das sei schwer genug, schließlich seien die Lagerstätten allmählich erschöpft. Durch sogenanntes unkonventionelles Fracking gefördertes Schiefergas sei hingegen noch vorhanden. Weil Möhring aber weiß, dass diese Praxis in der deutschen Gesellschaft nicht beliebt ist, formuliert er seine Forderung in abgeschwächter Form: „Wir müssen das volkswirtschaftlich wollen. Es ist kein Appell, das jetzt zu tun. Vielmehr sollte man jetzt eine hinreichend informierte und abgewogene Entscheidung herbeiführen.“
„Wir müssen das volkswirtschaftlich wollen.“
Doch die Debatte scheint vergiftet. Der BVEG-Chef beklagt sich über Bedenkenträgertum, das den Fracking-Befürwortern vorhält, es dauere zu lange, sei zu spät, zu wenig und nicht umweltverträglich. Möhring ist hingegen davon überzeugt, dass nach einer Genehmigung zwischen der ersten Bohrung und der Förderung nur sechs Monate liegen würden. Zudem kritisiert er, dass bei der aktuellen Bewertung die schlechte CO2-Bilanz des angelieferten Flüssiggases nicht berücksichtigt werde. LNG aus Übersee habe eine 20 bis 30 Prozent schlechtere Bilanz als die heimische Gasförderung, zudem werde billigend in Kauf genommen, dass das gelieferte Gas in den USA durch Fracking gefördert wurde. Die Erdgas-Branche fühlt sich von der Politik jedoch nur geduldet, keinesfalls unterstützt.
Möhring sieht Zukunft für die Branche
Doch Möhring möchte auch ein positives Zukunftsbild für die Industrie zeichnen, die er vertritt. Bei einigen Weichenstellungen der Bundesregierung sieht er Anknüpfungspunkte für die BVEG-Mitgliedsunternehmen. Dazu zählt etwa der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Um diese rasch hochfahren zu können, möchte die Bundesregierung auch den sogenannten „blauen“ Wasserstoff, bei dem mittels Erdgas Wasserstoff erzeugt wird, mit einbeziehen. Zudem zeige sich die Bundesregierung offener für unterirdische CO2-Speicher, wie sie zahlreiche Nordsee-Anrainer wie beispielsweise Norwegen planen. Möhring sieht auch hier Kompetenzen bei seinen Mitgliedsunternehmen. Und zuletzt verweist der Hauptgeschäftsführer noch auf das „G“ im Verbandsnamen, das schließlich für Geothermie stehe – ein Teilaspekt der Energiebranche, der gerade auf dem Wärmemarkt eine deutlich wichtigere Rolle eingenommen habe.
Dieser Artikel erschien am 19.04.2023 in der Ausgabe #071.
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