Entschlüsselte Geheimkontakte ermöglichen Erfolge gegen organisierte Kriminelle
Ob der bekannte Enkel-Trick am Telefon, der Vertrieb von Rauschgift oder das Sprengen von Geldautomaten – häufig sei bei der einzelnen Tat nicht auf Anhieb zu erkennen, dass es sich dabei um „Organisierte Kriminalität“ handelte. Doch auch aufgrund neuer Daten aus entschlüsselter Kommunikation der Täter sei man beim Kampf gegen kriminelle Organisationen zuletzt einen großen Schritt weitergekommen, erklärten gestern Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) und Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) bei der Vorstellung des gemeinsamen Lagebildes von Polizei und Justiz zur „Organisierten Kriminalität“.
Knapp die Hälfte der niedersächsischen Verfahren gingen im vergangenen Jahr darauf zurück, dass sogenannte Krypto-Messenger von ausländischen Sicherheitsdiensten entschlüsselt werden konnten und die Daten von der deutschen Strafverfolgung verwendet werden durften. Als weiteren Grund für die erfolgreiche Ermittlungsquote nannte Pistorius den Umstand, dass man das Personal in diesem Bereich um 40 Prozent aufgestockt hatte. Insgesamt 78 Verfahren hat die niedersächsische Polizei im Bereich der „Organisierten Kriminalität“ im vergangenen Jahr bearbeitet, 20 mehr als im Jahr davor. Damit liegt Niedersachsen auf dem zweiten Platz, hinter Nordrhein-Westfalen und vor Bayern, erläuterte der Innenminister.
2022 wurden über 60 Mal Geldautomaten in die Luft gesprengt
„Die Organisierte Kriminalität stellt sich zunehmend professioneller und digitaler auf, bei einem gleichzeitig hohen Maß an Skrupellosigkeit“, sagte Pistorius vor Journalisten. Besondere Sorgen bereiteten ihm dabei aktuell die Sprengungen von Geldautomaten. Weil dabei inzwischen auch Festsprengstoff verwendet werde, nähmen die Täter die Gefährdung von Menschen billigend in Kauf. Bei den Geldautomatensprengungen sei ein „absoluter Höchststand“ erreicht, sagte Justizministerin Wahlmann. Im Schnitt werde in diesem Jahr pro Woche mehr als ein Automat in die Luft gejagt. 55 Sprengungen hatte es im Jahr 2021 gegeben, 2020 waren es noch zehn weniger. In diesem Jahr waren es bereits über 60.
Dabei würden immense Sach- aber auch Personenschäden hingenommen – vor allem bei der Kombination aus Wohn- und Geschäftshäusern sei das Risiko hoch, dass es zu bedrohlichen Bränden kommt. Hinzu käme die Flucht mit hochmotorisierten Fahrzeugen, die schneller als 300 Stundenkilometer fahren würden, sagte Wahlmann. Prävention sei deshalb als Reaktion auf diese Taten die gebotene Herangehensweise, erläuterten die beiden Minister. Weder sei es ratsam, dass einzelne Streifenpolizisten in einen derartigen Tathergang eingriffen, noch wünsche man sich Verfolgungsjagden mit den Tatfahrzeugen durch geschlossene Ortschaften.
Innenminister wünscht sich konkrete Präventionsmaßnahmen
Diese Form der kriminellen Betätigung greife gerade von den Niederlanden aus auf Niedersachsen über, erklärte Pistorius. Dort habe es der Staat zuletzt für die Täter unattraktiver gemacht, Geldautomaten aufzusprengen. Zum einen wurde die Anzahl der Automaten verringert, zum anderen wird das Geld darin durch Verklebung und Verfärbung unbrauchbar gemacht, erläuterte der Innenminister, der sich ein ähnliches Vorgehen auch für Deutschland wünscht. Doch bislang gehe ihm das nicht schnell genug, bekannte er. Auf ihrer Herbsttagung hatte die Innenministerkonferenz an die Banken und Sparkassen appelliert, bis April konkrete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen.
Pistorius und auch seine Kabinettskollegin Wahlmann bereiten aber parallel eine Bundesratsinitiative vor, um verbindliche Schritte von den Banken zu verlangen, sollten sie sich nicht von sich aus bewegen. Über die Gespräche, die Pistorius bereits mit den Banken geführt hat, möchte er zwar nicht berichten – es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Seiner Ansicht nach sei es aber „eine Frage des Wollens und der Bereitschaft, entsprechend Geld zu investieren.“ Zudem wundere er sich, dass die Versicherungen nicht aufbegehrten.
Während die gesprengten Geldautomaten wegen der Skrupellosigkeit aktuell stärker im Fokus stehen, bildeten Drogenhandel und Drogenschmuggel 2021 derweil eigentlich den Schwerpunkt im Bereich der „Organisierten Kriminalität“. Insgesamt 58 Verfahren mit 382 Tatverdächtigen hat es in diesem Deliktsbereich im vergangenen Jahr in Niedersachsen gegeben. Im Vorjahr waren es nur 30 Verfahren mit 230 Tatverdächtigen. Der Handel mit Cannabis-Produkten machte 2021 mehr als die Hälfte der Drogen-Verfahren aus, in 34 Prozent ging es um Kokain und in 13 Prozent um synthetische Drogen. Von mehr als 18 Millionen Euro Gesamtertrag konnten fast 4 Millionen gesichert werden. Dass selbst erfolgreiche Schläge gegen Drogenringe wenig Auswirkungen auf den Drogenmarkt zeigten, erklärt der Innenminister mit dem allgemein gestiegenen Drogenkonsum. Die Nachfrage sei so groß, dass sofort ein neuer Händler auftrete, sobald einer habe festgesetzt werden können.
Dieser Artikel erschien am 09.12.2022 in der Ausgabe #220.
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