Eine Qual mit dieser Wahl
Darum geht es: Mit Großflächenplakaten, Zeitungsanzeigen, Rundfunk- und Fernsehspots wird derzeit für die Teilnahme an den Sozialwahlen geworben. Soll man sich an dieser Wahl beteiligen? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Wir sollten alle die Daumen drücken, dass die Wahlbeteiligung diesmal enorm in die Höhe steigt. Im Jahr 2011, bei der vorigen Sozialwahl, hatten rund 30 Prozent der rund 50 Millionen Wahlberechtigten teilgenommen, also nicht mal jeder Dritte. Es wäre schon schön, wenn man diesmal nah an die 50 Prozent herankäme – und beim nächsten Mal, in sechs Jahren, dann an die 66 Prozent. Warum? Nur aus einem einzigen Grund: Die Selbstverwaltungsgremien der Krankenkassen und der gesetzlichen Rentenversicherung stehen für gelebte Demokratie und für das Engagement der Ehrenamtlichen in öffentlichen Angelegenheiten.
Das an sich verdient Respekt und Anerkennung. Es gibt keinen besseren Weg, diese Anerkennung auszudrücken als mit einer Teilnahme an der Wahl. Je mehr Leute wählen, desto bedeutender sind die Gremien, die mit der Wahl neu zusammengesetzt werden. Und je bedeutender diese Gremien, desto einflussreicher sind sie. Die Alternative zur Selbstverwaltung in der Kranken- und Rentenversicherung wären staatliche Verwaltungsstränge, eingebettet in Behördenhierarchie und Vorschriftendschungel. Das ist nicht erstrebenswert, weil es weniger Flexibilität und Bürgernähe verspräche.
Doch leider enden mit dieser Darstellung die Argumente für eine Teilnahme an der Sozialwahl bereits. Wenn es diesen übergeordneten Zweck nicht gäbe, nämlich die Stärkung des Ehrenamtes in der Selbstverwaltung, dann sprächen einige Menge Gründe gegen die Mitwirkung an den Sozialwahlen. Das fängt an bei den Bedingungen: Viele Krankenkassen (beispielsweise die AOK) beteiligen sich gar nicht an den Wahlen, bei ihnen treten so viele Vertreter an wie es freie Plätze gibt – und der Akt der Wahl fällt folglich aus. Überzeugte Demokraten müssen ein solches Vorgehen als abstoßend empfinden.
Wie wäre es, wenn die nächsten Landtagswahlen im Januar 2018 ausfallen, weil sich alle Parteien vorher untereinander verständigt haben, wie viele Abgeordnete sie in den nächsten Landtag entsenden wollen? Der Verdacht käme auf, ein Kartell der Besitzstandswahrer wolle sich Macht und Einfluss sichern zu Lasten des Volkes als Souverän. Deshalb die erste Forderung: Sozialwahlen sollten verpflichtend sein, der Verzicht auf die Wahlhandlung, beschönigend als „Friedenswahl“ verklärt, sollte künftig ausgeschlossen werden. Bei der Gelegenheit müsste auch darüber nachgedacht werden, ob auch die Seite der Arbeitgeber künftig verpflichtet werden soll, ihre Vertreter für diese Gremien über eine Wahl zu bestimmen.
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Fragwürdig ist auch der leidige „Wahlkampf“ vor dieser Sozialwahl. Wer einen Wettstreit der verschiedenen Listen um die beste Politik in den Selbstverwaltungsgremien erwartet hätte, der wird enttäuscht. Der „Wahlkampf“ besteht weit und breit wahrnehmbar vor allem in einer Kampagne für eine höhere Wahlbeteiligung. Das ist so, als wenn vor der nächsten Landtagswahl die öffentliche Debatte sich darauf beschränken würde, dass der Parlamentspräsident, der Ministerpräsident, die Minister und die Vorsitzenden aller Fraktion gemeinsam dafür werben, bitteschön zur Wahl zu gehen und die Stimme abzugeben. Langweiliger kann es nicht werden.
Man mag den vielen Kandidaten für Selbstverwaltungsgremien Unrecht tun, aber der Eindruck kommt auf, dass diese gar nicht richtig gefordert werden, ihre politischen Pläne und Absichten im Dialog oder Disput zu begründen und damit überhaupt klar kenntlich zu machen. Jedes Programm aber, das nicht gegen Kritik verteidigt und weiterentwickelt wird, droht unscharf und konturenlos zu werden. Deshalb die zweite Forderung: Wir brauchen einen Wahlkampf für die Sozialwahl, der im echten Wettstreit der Ideen und Argumente besteht.
Wenn es gelänge, die Sozialwahlen zu attraktiven Wahlen zu machen, mit einer wirklichen Sach-Auseinandersetzung, breiter Beteiligung aller Selbstverwaltungsorgane und folglich auch hoher Wahlbeteiligung, dann könnte man sogar über eine Stärkung dieser Vertreterversammlung nachdenken. Die Sozialgesetzgebung in Bundestag und Bundesrat neigt leider dazu, immer mehr ins Detail zu gehen und immer mehr Vorgaben zu entwickeln.
Vielleicht wäre es manchmal besser, der Spielraum der Ehrenamtlichen in den Gremien wäre größer. Wie wäre es, wenn man die Stärkung der Sozialwahlen als Hebel nutzt, die Macht der Selbstverwaltung auszuweiten und die Vorgaben der Gesetzgeber zu schmälern? Einen Versuch wäre es wert.
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