Ein völlig neues Parlamentsgefühl
Wenn früher, bis vor zwei Jahren, in Niedersachsen von Landtagsberatungen die Rede war, dann schwang immer dieses typische Bild mit: Die Abgeordneten sitzen in einem relativ engen, leicht düsteren Saal, die Wände sind mit Holzplatten verkleidet, über dem Podium thront ein großes weißes Niedersachsen-Ross, von der Decke strahlt Kunstlicht auf die Sitzreihen. Das Parlament, der Ort der leidenschaftlichen Redeschlachten, war vor allem ein mit doppelten Wänden nach außen geschützter Raum: erst die hölzerne Schale, dahinter dann noch die dicken Betonmauern des schweren Oesterlen-Baus. Ob gewollt oder nicht, diese Bauweise symbolisierte Abschottung – die Politiker sollten frei von dem, was auf der Straße gerade diskutiert oder demonstriert wird, ihre Entscheidungen fällen, allein als Konsequenz der dort ausgetragenen Argumentationen, die frei von äußeren Einflüssen bleiben sollten.
„Heute ist es anders“, sagte Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) gestern bei der Besichtigung der Plenarsaal-Baustelle des Landtags. „Der Plenarsaal war früher nach innen gerichtet, heute orientiert er sich nach außen.“ In Zeiten, in denen Politiker ständig im Verdacht stehen, den Kontakt zu den normalen Bürgern zu verlieren, soll ein Tagungs- und Entscheidungsraum von Abgeordneten vor allem transparent sein und den Versuch der Kontaktaufnahme zur Umwelt darstellen. Deshalb ist, als erster Schritt, die hölzerne Schale rund um die Stuhlreihen der Abgeordneten verschwunden. Zweitens grenzt das Zentrum des Geschehens, wo das Rednerpult steht, künftig direkt an die Fensterreihen des Oesterlen-Gebäudes. Wer draußen vorbeigeht, kann den Abgeordneten künftig auf die Finger schauen, beinahe jedenfalls. Gut, die vollendete Transparenz gibt es noch immer nicht, denn im langen Streit um Neubau oder Sanierung des alten Plenarsaals hatte der Landtag seine Haltung geändert und aus Respekt vor der Denkmal-Eigenschaft des Osterlen-Werks an den alten Grundmauern festgehalten. Das heißt: Es bleibt bei den vier schlitzartigen Fensteröffnungen neben den mächtigen Betonmauern. Von der Decke kommt wie bisher nur Kunstlicht, und lediglich die verglaste Wand zur Wandelhalle, in der bisher der Portikus des alten Landtagsgebäudes ansässig war, garantiert noch Lichteinfall von dort. So richtig sonnig und luftig wird es vermutlich im neuen Plenarsaal nicht werden, trotzdem wirkt alles irgendwie offener, geräumiger.
Das gilt vor allem für die neue Wandelhalle, eine riesige Fläche, die sich jedem öffnet, der künftig über die Treppenstufen des Haupteingangs den Landtag betritt. Früher war hier ein verglaster Innenhof, es stand dort ein Baum und regelmäßig im Frühjahr war dort eine Entenfamilie zu Gast. Baum und Ente gibt es nicht mehr. Heute ist dort nicht nur eine große freie und überdachte Fläche, von der Schneider und auch Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) noch gar nicht wissen, wie diese wohl auf Dauer genutzt werden soll. Zum Flanieren der Politiker? Für kleine Gesprächskreise? Vielleicht auch für Großveranstaltungen, zumal man hier bis zu 700 Stühle aufstellen könnte? Über dieser Wandelhalle erhebt sich die immer wieder geforderte und jetzt zumindest hier realisierte gläserne Decke, die viel Tageslicht in das Haus fließen lässt. Was im Plenarsaal vielleicht auch künftig noch zu wenig ist, kommt hier im Übermaß ins Haus: Helligkeit.
Das Mauerwerk ist fertig, die Glasarbeiten sind auch abgeschlossen, aus den Decken hängen jetzt die Strippen herunter, die Installationen stehen nun an. Beim Rundgang über die 11.200 Quadratmeter große Baustellen kann man erahnen, wie es sich künftig in dem Haus arbeiten lässt. 52,8 Millionen Euro sollte der Bau zunächst kosten, inzwischen geht das Finanzministerium von 5,4 Millionen Euro an Mehrkosten aus: 3,5 Millionen, weil der Streit mit einer Lüftungsfirma zu einer Verzögerung von dreieinhalb Monaten geführt hat. 1,5 Millionen für die Sanierung des Betons und 400.000 Euro für einen weiteren Fahrstuhl, der den behindertengerechten Zugang ermöglichen soll. Besonders ärgerlich ist der Streit um die Lüftungstechnik, ausgetragen mit einem Unternehmen, das zu einem international tätigen Konzern gehört. Die Frischluft soll von unten über die Tische der Abgeordneten zugeführt werden, ein fein austariertes System. Die Firma, die erst das günstiges Angebot abgegeben und dann den Zuschlag erhalten hatte, schickte bald nach Beginn der Arbeiten eine Rechnung für Kostensteigerungen. „Doch wir haben uns nicht erpressen lassen“, sagt Schneider. Statt einer Nachzahlung erhielt die Firma die Kündigung, es wurde neu ausgeschrieben, die Firma bewarb sich erneut und wurde nicht berücksichtigt, sie zog deshalb vor die Vergabekammer. Dennoch, betont der Finanzminister, hat das Hin und Her die Pläne nicht groß gestört. Der Firma, die sich so renitent zeigte, droht womöglich noch eine Schadensersatzklage vom Land. „Das Unternehmen muss dafür gerade stehen. Man sollte hier ein Exempel statuieren“, erklärt Busemann.
https://soundcloud.com/user-385595761/renovierter-landtag-so-geht-es-weiter
Die Landtagsbaustelle, in der jetzt emsig der Innenausbau voranschreitet, soll am 27. Oktober endgültig fertig sein. Busemann und Schneider hoffen, dann die feierliche Eröffnung begehen zu können – womöglich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Ehrengast. Einen knappen Monat später dann soll die erste Plenarsitzung in den neuen Räumen stattfinden. Nicht viel später dann, am 14. Januar 2018, wird das Gebäude zum Treffpunkt von Journalisten aus dem In- und Ausland, denn dann ist dies der zentrale Ort der Landtagswahlen. „Das wird die eigentliche Feuerprobe für dieses Haus werden“, meint der Finanzminister. (kw)