Ein skeptischer Jahresauftakt im Kloster Loccum
Zum Auftakt des neuen Jahres überwiegen skeptische Einschätzungen. Beim Neujahrsempfang der evangelischen Landeskirche im Kloster Loccum erklärte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Sonntagnachmittag, gerade in diesem Jahr mit der Europawahl Ende Mai sei der Zusammenhalt der Gesellschaft von besonderer Wichtigkeit. „Europa kann sich eben nicht mehr auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen und kann seine Interessen nur zusammen gegenüber den USA und China vertreten. Jeder Mitgliedstaat allein ist dafür viel zu schwach. Zusammen gibt es dagegen durchaus die Chance für eine wirkungsvolle Interessensvertretung.“
So wichtig und logisch dieser Gedanke sei, so wenig selbstverständlich sei gegenwärtig eine breite Unterstützung für die europäische Idee – auch in Deutschland nicht. Der evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, kündigte auch für die Kirchen an, die Idee der europäischen Einigung stärker als bisher auch in den Mittelpunkt der kirchlichen Arbeit zu stellen.
Weil konstatiert „ruppigeres Klima“
Der Neujahrsempfang der Landeskirche ist seit Jahren der inoffizielle Auftakt für die Landespolitik im neuen Jahr. Auch an diesem Sonntag waren neben Vertretern aus Politik und Verbänden auch Repräsentanten anderer Religionen eingeladen, so der jüdischen Gemeinden, der muslimischen Gemeinden und als Vertreter der Katholiken der Weihbischof aus Vechta, Wilfried Theising. Weil erinnerte in seiner Ansprache an zwei wichtige Jubiläen. Da ist zum einen die Weimarer Reichsverfassung als Grundlage der ersten Demokratie in Deutschland, die vor 100 Jahren in Kraft trat. Vor 70 Jahren, im Jahr 1949, wurde das Grundgesetz als Wertebasis der Bundesrepublik beschlossen. Außerdem ist der Fall der Mauer, der den Beginn der Wiedervereinigung markiert, genau 30 Jahre her.
Der Ministerpräsident erklärte, die Feiern all diese Ereignisse würden „hoffentlich mehr sein als Pflichtveranstaltungen“. Man müsse aber gegenwärtig auch auf die Schattenseiten hinweisen, nämlich den spürbaren Verlust von Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Neben objektiven Problemen wie der Kinderarmut, Sorgen in der Altenpflege und Klimawandel komme noch etwas anderes hinzu: „Ein kälteres, ruppigeres gesellschaftliches Klima und ein unverkennbarer Rechtsruck.“ In vielen europäischen Ländern hätten Rechtspopulisten an beträchtlichem politischen Einfluss gewonnen. Ein Symbol für diese Entwicklung sei der Brexit.
Nötig sei als Antwort darauf die Fähigkeit zur Selbstkritik, betonte Weil. „Offenbar haben wir alle vieles, was an gesellschaftlichem Fortschritt erzielt worden ist, für zu selbstverständlich genommen. Vielleicht haben wir zu wenig darauf geachtet, immer und immer wieder für die Demokratie und eine freiheitlich-offene Gesellschaft zu werben.“ Zu wenig habe man die Schere zwischen oben und unten beachtet, zu oft vermittelten wichtige Funktionsträger den Eindruck, zu viel mit sich selbst und zu wenig mit den Themen der Gesellschaft beschäftigt zu sein.
Meister kritisiert „Erregungskultur in sozialen Medien“
Der evangelische Landesbischof Ralf Meister widmete sich in seiner Rede der wachsenden Besorgtheit der Menschen – ausgelöst durch die modernen Kommunikationsformen wie Smartphones. Heute könnten negative Nachrichten über das Handy binnen Sekunden über den ganzen Erdball verbreitet werden, und die Aufmerksamkeit, die Attentätern, Kriminellen und Irregeleiteten zukomme, sei „unerträglich“. Die „Erregungskultur der sozialen Medien“ verzerre die Wirklichkeit und verschärfe die negativen Stimmungen.
Meister zitiert den Heidelberger Lyriker Bruno Ziegler: „Ich wollte die Nachrichten verfolgen, jetzt verfolgen sie mich.“ Die Menschen versuchten, ihre wachsende innere Unruhe mit Geld, Besitz oder Aktivität zu bekämpfen – aber das Vorhaben scheitere, weil die „Unruhe des Herzens“ in der eigentlichen Existenzsorge wurzele, also in der Angst vor dem Tod. Meister forderte, solchen Besorgtheiten jeden Tag eigenes Handeln als Zeichen sichtbarer Hoffnung entgegenzusetzen. Dazu gehörten „Frieden, Freiheit und Wohlergehen in Europa“, die Europawahl Ende Mai dieses Jahres sei auch für die christlichen Kirchen in Deutschland „ein wichtiges Handlungsfeld“.
Daneben ist nach den Worten des Landesbischofs noch ein weiteres Thema für die Kirchen in diesem Jahr besonders wichtig – die Entschleunigung der Gesellschaft. „Zeit für Freiräume“, nennt er das in Anlehnung an ein offizielles Motto der Kirche. Viele Menschen litten darunter, dass Ihnen Zeit für das Wesentliche kaum bleibe. Dazu gehöre für die Kirche auch der Schutz der Ruhezeiten, beispielsweise der Feiertagsruhe – wohlwissend, dass bestimmte Berufsgruppen, etwa in der Kindererziehung oder der Pflege, in ihrer beruflichen Belastung an ihr Limit gekommen seien und kaum Muße für Freiräume hätten.