Ein Geschenk an die Erdölindustrie? Opposition hegt Zweifel an Althusmanns geplantem Deal
Eine gewisse Eilbedürftigkeit war behauptet worden – doch bei näherer Betrachtung gibt es sie vermutlich gar nicht. Am 12. Januar richtete die Landesregierung ein Schreiben an den Landtag: Das Parlament möge doch „schnellstmöglich“ einen Vergleich absegnen, den das Land und die niedersächsischen Erdöl- und Erdgasfirmen ausgehandelt hatten. Es gehe um „die Rechts- und Planungssicherheit“ der Unternehmen, die in Niedersachsen Bodenschätze fördern. Doch die geplante Beschlussfassung in dieser Woche, vorgesehen ist bisher der späte Mittwochnachmittag im Landtag, steht nun in Frage. Grüne und FDP hegen massive Zweifel, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Sind die juristischen Argumente nur vorgeschoben, geht es in Wirklichkeit darum, den Förderfirmen mal eben schnell etwas Gutes zu tun?
Es geht um einen der traditionsreichsten, aber auch umstrittensten Wirtschaftszweig in Niedersachsen: Von den rund 7 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die jährlich in Deutschland gefördert werden, kommen 97 Prozent aus niedersächsischen Stätten. Beim Erdöl liegt der Landesanteil bei jährlich mehr als 733.000 Tonnen – das sind rund 35,5 Prozent der bundesweiten Menge. Dieser Sektor ist nötig, meinen die Befürworter, weil der Rohstoff für Forschung und Weiterentwicklung unverzichtbar ist. Auch wenn fossile Brennstoffe aus dem Alltag verschwinden sollen, nicht zuletzt aus Klimaschutzgründen, bleibe das Gas als Übergangstechnologie unverzichtbar – und stehe in Konkurrenz zu ausländischen Importen etwa aus Russland. Die Kritiker betonen die Notwendigkeit einer Energiewende und verweisen auf die Umweltrisiken. Da gibt es Berichte über Austritt von Lagerstättenwasser, etwa in Emlichheim, dann tauchen immer wieder Mutmaßungen darüber auf, Erdbeben könnten im Zusammenhang mit Förderstätten stehen, etwa im Bereich Verden. Dort gibt es inzwischen die Zusage, bis 2036 die Förderung einzustellen.
Mit gehöriger Skepsis stehen daher auch viele im Landtag der Erdgasindustrie gegenüber, umso überraschter waren sie vom neuen Plan des Wirtschaftsministers Bernd Althusmann, der das Kabinett schon durchlaufen hat: Im Rechtsstreit mit den Unternehmen peile man einen Vergleich an und wolle die Abgabe (bisher bis zu 27 Prozent des Marktwertes für Gas und bis zu 18 Prozent beim Erdöl) von 2022 an auf zehn Prozent absenken. Für 2020 wolle man rückwirkend eine Befreiung festlegen, für 2021 eine Abgabe von nur fünf Prozent. Das sei nötig, so lautete die Begründung der Regierung, da ein Rechtsstreit in Mecklenburg-Vorpommern eine Änderung der Vorgabe zwingend mache. Das Oberverwaltungsgericht Greifswald hatte eine dort geplante Erhöhung der Abgabe gekippt – und das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Linie. Aus „rein fiskalischen Gründen ohne jegliche inhaltliche Lenkungsfunktion“ sei den Bundesländern eine Erhöhung der Abgabe, die laut Bundesbergrecht bei zehn Prozent festgelegt ist, nicht erlaubt. Wenn die Länder eine höhere als die im Bundesrecht vorgegebene Abgabe kassieren wollen, was in Niedersachsen seit vielen Jahren der Fall ist, dann dürfe der Antrieb dafür nicht in deren Haushaltslage bestehen.
In einer vertraulichen Unterrichtung im Wirtschaftsausschuss unterstrich die Regierung ihre Befürchtungen: Das Risiko möglicher Erstattungen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrage bis zu eine Milliarde Euro, da von den Erdgasfirmen alle niedersächsischen Bescheide zwischen 2013 und 2018 angefochten wurden. Berichtet wurde auch über ein Rechtsgutachten, das den Vorschlag der Regierung zur Einwilligung in den Vergleich rät – trotz der Tatsache, dass damit jedes Jahr die bisher kalkulierten Einnahmen um hohe Millionenbeträge unterschritten werden. Grüne und FDP im Ausschuss hakten nach, beantragten Einsicht in die vertraulichen Akten und verkündeten am Montag gemeinsam, sich massiv für die Vertagung der für diesen Mittwoch geplanten Landtagsentscheidung einsetzen zu wollen. „Es liegen keine prüfbaren Unterlagen vor, alles wirkt wie eine verkappte Wirtschaftsförderung“, meint Detlev Schulz-Hendel (Grüne). „Die Absenkung auf zehn Prozent ist völlig unangemessen. Es geht hier doch darum, welchen Anteil der Staat daran haben soll, dass Firmen Bodenschätze ausbeuten können“, sagt Jörg Bode (FDP). Die Sache müsse „volkswirtschaftlich betrachtet werden“.
Nach Informationen des Politikjournals Rundblick geht aus dem Rechtsgutachten tatsächlich hervor, dass fiskalische Gründe bei vergangenen Entscheidungen über die Höhe der Förderabgabe eine Rolle spielten. Das soll der damalige Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) so geäußert haben, als Rot-Grün nach 2013 den Fördersatz von 35 auf 28 Prozent absenken wollte. Festgelegt wurden dann 30 Prozent. Auch Schneiders Nachfolger Hilbers soll später in ähnlicher Form auf die Folgen einer Absenkung für den Landesetat hingewiesen haben. Das wären also die fiskalischen Gründe, die als alleinige nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht zulässig wären.
Aber nun zweifelt die Opposition, ob diese Indizien schon reichen. Da sind zum einen die Hinweise auf zahlreiche Ausnahmeregeln, die heute schon das massive Absenken der Abgabe in Einzelfällen ermöglichten. Dann gibt es Hinweise auf Tricks und Sondervorschriften – etwa Rabatte auf Risikobohrungen oder die Eigenheiten von Firmen, das Gas im ersten Schritt an eine eigene Firmentochter zu besonders günstigen Preisen zu veräußern und damit die Abgabe an den Staat künstlich zu senken. Andere fragen, warum die Bundesländer nicht gemeinsam eine Initiative zur Erhöhung der Zehn-Prozent-Regel im Bundesbergrecht starten und auf diese Weise Druck auf die Firmen ausüben.
Mit anderen Worten: Die Opposition glaubt nicht, dass Niedersachsen in dieser Frage so hart verhandelt hat, wie es eigentlich notwendig gewesen wäre. Mehrere Abgeordnete der Grünen haben nun parallel mehrere Fragen an die Regierung gerichtet: Welche Gutachten wurden in Auftrag gegeben und wer hat sie bezahlt? Wieso hat das Landesbergamt noch keine Bescheide für das Jahr 2019 erteilt? Der Grünen-Haushaltspolitiker Stefan Wenzel erhebt sogar den Vorwurf, Althusmann habe den Landtag „falsch, unvollständig und zu spät“ unterrichtet. Er meint, anders als vom Ministerium behauptet sei der Vorgang in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht auf Niedersachsen übertragbar – denn in Schwerin sei über eine Anhebung der Abgabe gesprochen worden, „in Niedersachsen aber reden wir seit Jahren immer nur um Absenkungen“. Außerdem lasse die Landeshaushaltsordnung eine rückwirkende Senkung, wie von Althusmann bezweckt, gar nicht zu. Die Grünen haben zu diesem Thema eine aktuelle Debatte am Mittwoch im Landtag beantragt.