Der da in der Mitte, im weißen Hemd – das ist doch…

Ja, auf manchen Großflächenplakaten der SPD für die Wahl zum Rat der Stadt Hannover ist auch Oberbürgermeister Stefan Schostok zu sehen. Er steht ganz oben im Zentrum einer Gruppe freundlicher Menschen, und er lächelt. „Ganz Hannover im Blick“ steht in großen Lettern am unteren rechten Rand des Plakates. Ist das eine Wählertäuschung? Schostok, soviel ist klar, steht erst in fünf Jahren wieder zur Wahl, jetzt nicht. Die anderen Damen und Herren neben ihm aber bewerben sich schon am 11. September. Also nutzen die Sozialdemokraten die Prominenz des Stadtoberhaupts, um ihren Werbeauftritt zu verstärken. „Die Grenzen zwischen Verwaltung und SPD verwischen“, meint dazu der CDU-Chef aus Hannover, Dirk Toepffer.

Ein bisschen Frank Klingebiel muss sein - Wahlplakat in Salzgitter - Foto: ML

Ein bisschen Frank Klingebiel muss sein – Wahlplakat in Salzgitter – Foto: ML

Rechtlich ist das offenbar kein Problem: Solange der Oberbürgermeister nur als einfacher Sozialdemokrat auftritt, nicht mit seiner Amtsautorität oder mit Amtskette, kann ihm die Unterstützung der SPD niemand verwehren. Ein Problem hat eher die Partei mit ihrer Glaubwürdigkeit: Sie wirbt vor der Wahl mit einer Person, die gar nicht zur Wahl steht – und das könnte bei einigen Wählern schlecht ankommen. Deshalb setzen die Sozialdemokraten in der Landeshauptstadt das Stilmittel gegenwärtig auch nur zurückhaltend ein. Auf anderen SPD-Großflächenplakaten ist Schostok nur von hinten zu sehen, der Fotograf hat schräg über seine Schulter fotografiert – man blickt quasi mit dem Oberbürgermeister auf die Stadt Hannover, die im Hintergrund zu sehen ist. Schostok ist jetzt mehr Betrachter als Betrachteter, und Zitate von ihm werden anstelle von Slogans präsentiert. Regionspräsident Hauke Jagau (SPD), der wie Schostok am 11. September nicht zur Wahl steht, taucht auch auf einigen SPD-Plakaten auf – und zwar auf dem Fahrrad, inmitten einer Gruppe von Mitradelnden. Ein Schnappschuss von einem sommerlichen Ausflug. Passend als Hinweis zur Wahl des Regionsparlamentes.

Noch offensiver geht die CDU in Salzgitter vor, die dort den populären Oberbürgermeister Frank Klingebiel stellt, der ebenfalls nicht zur Wahl antritt. Die CDU hat ihn aber in ihren Wahlslogan gepackt: „… auf Kurs mit Frank Klingebiel“, heißt es dort. Daneben ist die Silhouette von Klingebiels Kopf zu sehen. Ein Scherenschnitt soll helfen, wo die direkte Werbung mit dem Prominenten nicht möglich oder nicht geboten erscheint. Der SPD-Unterbezirksvorsitzende aus Salzgitter, Michael Letter, sieht das nicht ohne Ironie: „Wenn man wenig Inhalt hat, muss man sich eben auf eine Person fokussieren – auch wenn die gar nicht zur Wahl steht.“ Die SPD, sagt Letter, wünsche sich auf jeden Fall „mehr inhaltliche Debatten“. In Westerstede ist es die FDP, die sich den guten Ruf des hauptamtlichen Bürgermeisters zunutze macht: „Westerstede Groß artig“, heißt es auf den Plakaten. Bürgermeister Klaus Groß (FDP) ist das Zugpferd der Partei, bei seiner Wiederwahl 2014 holte er, trotz zweier Gegenkandidaten, 70,49 Prozent. Und das für die FDP, eine Sensation.

Offenbar fällt es den Parteien immer schwerer, ohne die populären Stadtoberhäupter für ihre Ziele zu trommeln. Auch Kommunalwahlen sind nun mal Personenwahlen, und vielen Wählern ist auch gar nicht deutlich zu machen, warum nun nur die Kommunalvertretung, aber nicht gleichzeitig auch der Verwaltungschef neu bestimmt werden soll. Deshalb spricht viel für die von Rot-Grün beschlossene Reform, auf Dauer die Wahlzeiten von Bürgermeister und Rat wieder anzugleichen. Da das nur mit Übergangsfristen erreichbar ist, haben wir bei dieser Kommunalwahl – bis auf wenige Ausnahmen – die Situation, dass eben nur die ehrenamtlichen Rats- oder Kreistagsmitglieder zu wählen sind.

Man mag es nun als „Amerikanisierung“ der Wahlkämpfe bezeichnen, dass die Parteien ihre Wahlkampagnen auf eine Person an der Spitze ausrichten. Es gibt auch die anderen Plakate, die mit inhaltlichen Botschaften. Aber womöglich haben die Parteien die Erfahrung gemacht, dass darüber heutzutage – im Vergleich etwa zur Situation vor einigen Jahrzehnten – weit weniger gesprochen wird als über Plakate mit Personen. Es sei denn, die Parolen sind zugespitzt, vielleicht sogar anstößig. Wenn sich darüber jemand aufregt, garantiert auch das Aufmerksamkeit. Aber SPD und CDU, Grüne und FDP neigen gemeinhin selten zu solchen Ausfällen.

Noch ein Problem kommt hinzu: Kommunalwahlen sind Personenwahlen, und das Wahlrecht gibt den Wählern die Chance, Stimmen nicht nur für die Liste abzugeben, sondern auch auf bestimmte Kandidaten zu verteilen. So können äußerst beliebte Ratskandidaten, die auf der Liste ihrer Partei eher einen unteren Platz haben, mit vielen Stimmen in der Reihenfolge ganz nach oben rutschen.  Vielleicht ist das der Grund, warum immer mehr kommunale Kandidaten ihren persönlichen Wahlkampf führen – mit eigenen Prospekten, die sie verteilen, und mit eigenen Plakaten, die sie drucken lassen und an die Laternenpfähle hängen. CDU-Generalsekretär Ulf Thiele sagte neulich, er freue sich, dass der Kommunalwahlkampf viele Bewerber zu besonderen Wahlkampfaktionen anspornt. Wahr ist aber auch: Ein ausgeprägt persönlicher Wahlkampf von Ratskandidaten ist geeignet, Neid und Missgunst bei Parteifreunden zu wecken, die sich solche Aktivitäten nicht leisten können oder wollen. Sich dann hinter dem Oberbürgermeister zu verstecken, wie die SPD in Hannover, die CDU in Salzgitter oder die FDP in Westerstede, kann dann auch als Beitrag zur innerparteilichen Friedensstiftung verstanden werden. (kw)