Dunkelfeldstudie belegt: Nur Bruchteil der Gewaltvorfälle bei Partnern werden angezeigt
Alle zwei Jahre versucht das niedersächsische Innenministerium, in einer sogenannten „Dunkelfeldstudie“ die bisher nicht sichtbaren Schattenseiten der Kriminalitätserfahrung der Leute aufzuhellen. Dabei geht es um die Ängste und Erwartungen der Menschen, aber auch um das erwartete Verhalten der Polizei. Die Landes-Studie korrespondiert mit einer ähnlichen bundesweiten Untersuchung. In diesem Jahr ist in Niedersachsen eine Frage besonders beleuchtet worden – nämlich die nach Gewalterfahrungen mit Partnern oder früheren Partnern. Die niedersächsische Polizei hat 40.000 Niedersachsen um eine Teilnahme an der Umfrage gebeten, etwa 17.500 haben darauf geantwortet, das entspricht einer Beteiligung von 43,8 Prozent.
Von denjenigen, die geantwortet haben, gaben 5,7 Prozent an, im Jahr 2020 von einer Straftat des Partners oder des früheren Partners betroffen gewesen zu sein. Dabei geht es um körperliche Übergriffe, um Stalking, Belästigung oder andere Formen der psychischen Gewalt. 6,7 Prozent aller befragten Frauen, aber auch 4,6 Prozent der befragten Männer gaben an, von solchen Taten aus eigener Kenntnis zu wissen. Jüngere Personen seien häufiger betroffen als ältere. Unter Migranten gebe es mehr Fälle. Außerdem gebe es bei Menschen mit höherem Bildungsabschluss eine höhere Betroffenheit. Der Präsident des Landeskriminalamtes, Friedo de Vries, hat für diese Zusammenhänge keine Erklärung. Möglich ist es, dass die Sensibilität für sexualisierte Gewalt mit der Höhe des Bildungsabschlusses steigt. Als erschreckend wird in der Landespolizei aufgenommen, dass lediglich 0,5 Prozent aller erlebten Gewalterfahrungen, die von Partnern oder früheren Partnern ausgehen, bei der Polizei angezeigt werden und damit strafrechtlich verfolgt werden können. Mehrere Erklärungen gebe es dafür, dass dieser Anteil so gering ausfällt. Mehr als die Hälfte der Befragten haben angegeben, die Tat sei „nicht schwerwiegend genug“, ebenfalls mehr als 50 Prozent gaben an, die Tat sei „eine Privatangelegenheit“, 31 Prozent meinten, die Opfer wollten ihre Ruhe haben und das Erlebte vergessen wollen, 29 Prozent sagten, die Angelegenheit werde sich selbst regeln. Frauen mit Migrationshintergrund hätten oft berichtet, nicht gewusst zu haben, dass es sich um eine Straftat handelt. Nur maximal 6 Prozent gaben als Grund für die Nicht-Anzeige an, dass sie schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hätten.
Innenminister Boris Pistorius warnte davor, Gewalt in der Partnerschaft mit den Begriffen „Beziehungskrise“, „Eheprobleme“ oder „Privatsache“ zu verharmlosen. Wenn Männer Frauen töteten, da sie ihre Zurückweisung nicht ertragen könnten, sei das Mord, da die „niederen Beweggründe“ offensichtlich seien. Man könne in solchen Fällen nicht von Totschlag im Affekt reden. Mit Justizministerin Kathrin Wahlmann werde er klären, ob Niedersachsen hier eine Bundesratsinitiative starten solle mit dem Ziel, das Strafmaß in diesen Fällen zu erhöhen.
Sicherheitsgefühl steigt, Skepsis wird größer
Bei der Frage danach, wie unsicher sie sich in ihrer eigenen Wohnung oder Nachbarschaft fühlen, gaben 92,2 Prozent „eher gering“ an – das ist der beste Wert seit 2013. 7,8 Prozent sagten „eher hoch“, 2013 waren es noch 16,5 Prozent. Die Angst vor Diebstahl, Sachbeschädigung oder Einbruch ist am höchsten. Die Erwartung, Opfer von Hasskriminalität zu werden, liegt nur bei 1,8 Prozent und ist damit so gering wie noch nie. Auch die Einschätzung des persönlichen Risikos, Opfer einer Straftat zu werden, ist so wenig ausgeprägt wie noch nie. 29,6 Prozent der Befragten gaben an, 2020 Opfer mindestens einer Straftat geworden zu sein – das ist in etwa so viel wie bei den Befragungen zu 2012, 2014 und 2016. 22 Prozent der angegebenen Straftaten seien von den Opfern angezeigt worden – in den Jahren davor seien es immer mehr als 25 Prozent gewesen.
Die Bewertung der Arbeit der Polizei bekommt eine leichte Delle. Bei der aktuellen Befragung gaben 71,8 Prozent an, Ausländer und Deutsche würden durch die Polizei gleich behandelt. 87 Prozent meinten, die Polizei setze Gewalt nur ein, wenn diese rechtlich gerechtfertigt sei – und 88 Prozent erklärten, man werde von der Polizei gerecht behandelt. 2017 waren alle diese Werte noch um einige Prozentpunkte höher. Landespolizeipräsident Axel Brockmann meint, die gewachsene Skepsis der Befragten könne in den Vorgängen rund um die Gewalt amerikanischer Polizisten gegen den farbigen George Floyd zu tun haben – denn dieses Thema habe die öffentliche Debatte beherrscht.
Dieser Artikel erschien am 15.11.2022 in der Ausgabe #202.
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