Dieser Parteitag ging für Hubertus Heil gerade noch mal gut
Jahrelang war die niedersächsische SPD ein Hort der Stabilität und einer fast schon langweilig wirkenden Harmonie. Diese Zeit scheint gegenwärtig vorüber zu sein. Denn an mehreren Orten sind in diesem Frühjahr Feuer ausgebrochen, die zu ersticken sich die Parteispitze redlich müht – in Ostfriesland, in Hannover und in Braunschweig.
Im Parteibezirk Weser-Ems gerät der SPD-Landtagsabgeordnete Jochen Beekhuis, der sich in internen Mails sehr abschätzig über Parteifreunde geäußert und Intrigen gesponnen hatte, massiv unter Druck. Viele örtliche Genossen rücken von ihm und seinem Politikstil ab. Doch Beekhuis ignoriert bisher den deutlichen Rat des SPD-Bezirksvorstandes, er möge für die Zeit einer SPD-internen Untersuchung seine Ämter ruhen lassen. Trotzig besucht er jede Sitzung, auch im Landtag. Der Ausgang dieses Falls ist offen, die Glut glimmt noch.
In Hannover befindet sich Oberbürgermeister und SPD-Bezirkschef Stefan Schostok im politischen Sturzflug, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover ihn nach vielen Monaten Ermittlungsarbeit wegen „schwerer Untreue“ angeklagt hat. Anfangs zeigte er sich uneinsichtig, jetzt deutet Schostok zaghaft seinen Rückzug an. Aber eine klare Erklärung in dieser Frage hat er bisher nicht abgegeben, vielmehr wurde die Entscheidung auf seinen Wunsch bis zum morgigen Dienstag vertagt. Schostoks Abgang könnte noch quälend lang werden, die SPD braucht in der Landeshauptstadt, ihrer niedersächsischen Herzkammer, eine Neuaufstellung. Die Flammen lodern weiter.
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Der Niedersachse der Woche kommt aus Braunschweig
Immerhin ist die dritte große Brandstelle, im SPD-Bezirk Braunschweig, an diesem Wochenende eingehegt worden – allerdings auf höchst seltsame und unübliche Weise. Was war geschehen? Am 5. April hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (46), seit zehn Jahren Vorsitzender des SPD-Bezirks Braunschweig, einem von vier Bezirken in Niedersachsen, in einer Vorstandssitzung seinen Rückzug verkündet. In der gleichen Sitzung sorgte er dafür, dass der 34-jährige, 2017 frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs als Nachfolger nominiert wurde. Das verkündete Heil noch am selben Abend gegenüber der „Braunschweiger Zeitung“.
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Viele der knapp 10.000 Mitglieder des Bezirks fühlten sich von Heils Taktik überrumpelt, mehrere Unterbezirke begehrten auf und der Braunschweiger Landtagsabgeordnete Christos Pantazis entschied sich nach Rücksprache mit seinem Verband zur Gegenkandidatur. Dies wiederum alarmierte die niedersächsische SPD-Spitze, denn vor einer Kampfabstimmung hatten sie Angst – bei einem Pantazis-Sieg wäre nicht nur Mohrs beschädigt worden, sondern auch Heil, der Bundesarbeitsminister. Also tagten rund um Ostern viele interne SPD-Runden, Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth wurde als Vermittler einbezogen – und am Ende zog Heil seinen Verzicht zurück, erklärte überraschend doch wieder seine Kandidatur. Pantazis und Mohrs sollten seine Stellvertreter werden.
Ist das nun eine weise Lösung, aus Sorge vor einer Kampfabstimmung einen eigentlich amtsmüden Bezirksvorsitzenden für weitere zwei Jahre im Amt zu bestätigen? Die Anspannung bei diesem Bezirksparteitag war offensichtlich, 159 der 161 eingeladenen Delegierten waren erschienen, dazu noch viele Zuhörer. Die Stimmung an der Basis kocht, hieß es Tage vorher. Überraschend hatte sogar Ministerpräsident Stephan Weil als Landesvorsitzender sein Erscheinen angekündigt, dafür fiel die eigentlich geplante Rede der Bundesfamilienministerin aus.
Der SPD-Landeschef lobt „Hubi Heil“
Weil warf sich sehr stark für den bisherigen Vorsitzenden in die Bresche. „Hubi Heil“, wie Weil ihn nannte, sei „einer der allerwichtigsten Leistungsträger, den die SPD hat“. Er stehe für das soziale Profil der Sozialdemokraten bei Mindestlohn, Grundrente und Besserstellung von Arbeitslosen. Dann sprach Weil von „den guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Bezirk Braunschweig“, die er 2011 und 2012 gesammelt habe.
Was Weil dazu nicht näher ausführte: Damals, beim internen Streit zwischen Stephan Weil und Olaf Lies über die SPD-Spitzenkandidatur, hatte der SPD-Bezirk Braunschweig unter Heils Führung den Ausschlag für Weil gegeben. Nun, da es um Heils Zukunft ging, warb Weil beim Braunschweiger Bezirksparteitag ganz ausdrücklich „um Geschlossenheit nicht nur nach außen, auch nach innen“. Er freue sich, so Weil, dass „schon im Vorfeld der Braunschweiger Friede wieder hergestellt wurde“.
Dann trat Heil ans Mikrophon, und sein Bericht als Bezirksvorsitzender wurde über weite Teile eine Selbstbezichtigung und Entschuldigungsrede. Er habe „einen Fehler gemacht“, den Wunsch der SPD-Basis nach Mitbestimmung der Personalauswahl für die Führung unterschätzt – und er bitte ausdrücklich darum, „mir diese Fehler zu verzeihen“. Er wisse, meinte Heil, „dass viele über mich ärgerlich sind“, später sagte er dann, er habe ja immerhin „keinen Skandal verursacht, in keine Kasse gegriffen und auch keinen neoliberalen Unsinn erzählt“.
Tosender Applaus für Pantazis
In der folgenden Aussprache beschränkte sich Falko Mohrs darauf, Heil zu danken, während Pantazis sein Ja zum Kompromiss um die neue Führung mit deutlicher Kritik verknüpfte. „Ein Wettstreit ist nie verkehrt“, betonte er, künftig müsse sichergestellt sein, dass „nicht der Bezirksvorstand die Kandidaten vorstellt, sondern die Kandidaten sich vor dem Bezirksparteitag vorstellen“. Tosender Applaus war die Antwort.
Anschließend sprachen drei Kritiker, darunter die Juso-Bezirksvorsitzende Manon Luther: „Was ist das für ein Signal? Die SPD schafft es nicht, demokratisch über eine Alternative abzustimmen.“ Wieder verfestige sich der Eindruck, Politik werde in Hinterzimmern entschieden. Dagegen hatte Heil dann das Versprechen gesetzt, künftig eine „Führung im Team“ anzubieten – nicht mit dominierenden Bezirksvorsitzenden wie einst Gerhard Glogowski und Sigmar Gabriel, sondern mit einer stärkeren Arbeitsteilung.
Am Ende ging es für Heil gerade noch einmal gut. Nach 95 Prozent vor zwei Jahren erhält der Bezirksvorsitzende jetzt 20 Prozentpunkte weniger, nämlich 74,1 Prozent. 117 Delegierte sind für ihn, 36 gegen ihn. Ein deutlicher Dämpfer, aber kein Tiefschlag. Bei der Wahl der Stellvertreter erhält Pantazis 116 Stimmen, Mohrs 119 Stimmen. (kw)