Die Tücken des Islamvertrages
Noch im Juni fühlten sich die Politiker im Landtag einem wichtigen Ziel nah: Der Islamvertrag, monatelang ein Zankapfel zwischen den Fraktionen, lag überarbeitet vor – und schien nun beschluss- und unterschriftsreif zu sein. Die Führungen aller vier Landtagsfraktionen signalisierten Zustimmung. Aber inzwischen neigt sich die Sommerpause dem Ende zu, die Weltlage hat sich verändert – und es gibt neue Zweifel an den Vertragspartnern des Landes, den islamischen Verbänden Schura und Ditip. Ob es jetzt noch eine fraktionsübergreifende parlamentarische Mehrheit für die Vereinbarung geben wird? Vermutlich nicht.
Der Vertrag hat als große Vorbilder das Konkordat und den Loccumer Vertrag, die Vereinbarungen des Landes mit der katholischen und der evangelischen Kirche. Geregelt werden im Islamvertrag die Zuschüsse an die Religionsverbände und ihr Recht auf Religionsausübung. Ausdrücklich wird ihnen die Möglichkeit zur Erteilung von Religionsunterricht, mit Verweis auf das Grundgesetz, bescheinigt – und auch die Chance zur Gründung von Schulen in eigener Trägerschaft. Auf der anderen Seite ist im Vertrag auch ein Bekenntnis zur Geschlechtergleichheit enthalten, die allgemeine Schulpflicht und das staatliche Schulwesen sollen von Schura und Ditip anerkannt werden. Das Land sichert eine dauerhafte Finanzierung des „Instituts für Islamische Theologie“ in Osnabrück zu, die islamischen Feiertage werden ausdrücklich anerkannt. Wer den aktuellen, überarbeiteten Entwurf liest, stellt schnell die Ausrichtung nach zwei Seiten fest: Hier werden die Rechte der Religionsgemeinschaft betont und bekräftigt, dort wird versucht, Schura und Ditip auf die Werte und Normen des Grundgesetzes festzulegen. Damit ist auch das Spannungsfeld der Debatte beschrieben. Die Befürworter sehen die Chance, die Islam-Verbände stärker an die deutsche Rechtsordnung zu binden und ihnen ein Bekenntnis zu den Grundregeln des demokratischen Rechtsstaats abzuverlangen. Die Kritiker entgegnen, Schura und Ditip bekämen vom Land eine lange erhoffte Anerkennung als Religionsgemeinschaft – und würden damit aufgewertet, obwohl doch im Gegenteil Anlass bestehe, diese Organisationen kritischer zu beurteilen.
Die zurückliegenden Wochen haben das Vertrauen in Schura und Ditip nicht gesteigert. In der Schura wurde der gemäßigte Vorsitzende verdrängt, die neue Führung steht im Verdacht, zu nah am türkischen Präsidenten Erdogan zu stehen. Als der Putschversuch in der Türkei scheiterte, zeigte Ditip bei verschiedenen Gelegenheiten in Deutschland eine auffällige Nähe zu Erdogan, der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir äußert gar den Verdacht, dieser Verband könne „zum verlängerten Arm der AKP werden“, also der türkischen Regierungspartei. Das Kultusministerium in Hannover, federführend für den Islamvertrag, verweist auf die moderate Führung des Ditip-Landesverbandes für Niedersachsen und Bremen. Ein Rechtsgutachten habe auch bestätigt, dass es sich hier um eine Religionsgemeinschaft handelt.
An dieser Stelle setzen die Kritiker an: Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch verstärkt die türkische Führung ihren Einfluss auf nahestehende Verbände im In- und Ausland. Die Gefahr, dass Ditip künftig immer stärker von Erdogan instrumentalisiert wird, wächst derzeit. Die Imame werden von der Türkei nach Deutschland geschickt. Sollen sie künftig auch eine Erdogan-freundliche Haltung predigen, also eine politische und nicht religiöse Botschaft verfolgen? Wenn es den Islamvertrag geben sollte, könnte Ditip eine kritische Diskussion über diesen Verdacht leicht abbügeln mit Verweis auf ihre vom Land bescheinigte Qualifikation als Religionsgemeinschaft. Der Vertrag würde zum Persilschein für einen umstrittenen Verband. Schon mehren sich die mahnenden Stimmen. Gestern hat die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros gefordert, den Vertrag auf Eis zu legen – wegen der Radikalisierung bei der Schura.
Inzwischen zeichnet sich ab, dass die CDU im Landtag ihr noch im Frühsommer verkündetes Ja zum Islamvertrag wieder zurückzieht – womöglich gestärkt durch einen Beschluss beim Landesparteitag am 13. August.
Der FDP-Landesvorsitzende Stefan Birkner steht zu dem Vertrag und meint, gerade jetzt, in einer kritischen Phase in der Türkei, solle man die moderaten Kräfte in den Islamverbänden vertraglich binden und so deren Radikalisierung verhindern. Die niedersächsischen Grünen waren bisher immer klare Befürworter des Vertrages, doch die kritischen Stimmen von Cem Özdemir und auch von Claudia Roth auf Bundesebene zeigen, dass auch in dieser Partei kräftig diskutiert wird. Dies wird in Niedersachsen nicht ohne Wirkung bleiben. Auch in der SPD hat es immer Kräfte gegeben, die dem Vertrag skeptisch gegenüberstehen. Ministerpräsident Stephan Weil gehörte eher nicht dazu, obwohl er als Ziel immer „eine breite politische Mehrheit“ für das Projekt angepeilt hatte. Was tut er, wenn diese Mehrheit erkennbar schrumpft – zieht er die Sache durch oder vertagt er das Thema? Die politische Gemengelage ist zum Ausklang der Sommerpause unübersichtlich geworden. (kw)