Die Grünen sind in aller Munde – und sie feiern Wahlerfolge. Einer, der das mit viel Sympathie begleitet, ist die einstige Leitfigur der Partei, der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer. Wie beurteilt er die aktuelle politische Lage in der Bundesrepublik? Fischer äußert sich wenige Tage vor dem Grünen-Landesparteitag im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Klaus Wallbaum, Joschka Fischer und Niklas Kleinwächter – Foto: Drei Quellen Mediengruppe

Rundblick: Sind die aktuellen Erfolge nur gut für die Grünen – oder gibt es auch ein Risiko, weil den Politikern der Ruhm zu Kopfe steigen kann?

Fischer: Das ist doch eine großartige Entwicklung, die ich uneingeschränkt positiv sehe. Man kann doch nicht immer sagen: „Es ist fünf vor zwölf“ – und entsprechende Szenarien beschreiben. Die Grünen haben erkannt, dass sie auch die Regierungsverantwortung nicht scheuen dürfen. Die Partei wird geführt von Robert Habeck und Annalena Baerbock, zwei wirklich fähigen jungen Leuten. Die machen das wirklich gut – und sie wissen: Wenn man Politik verändern will, muss man bereit sein für Koalitionen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sie gute Vorschläge dafür machen werden. Die Leute, die bei den Grünen in verantwortlichen Positionen sind, kann man nicht mehr Ideologen nennen. Sie führen keine ideologischen Grundsatzdebatten mehr, sondern wenden sich den praktischen Fragen zu. Das Jahrzehnt der Auseinandersetzungen zwischen Reformern und Revolutionären ist offenbar vorbei – und das ist gut so. Denken Sie an den neuen OB von Hannover, Belit Onay, der steht wie für diese neue Generation.


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Rundblick: Der Dauerstreit von Fundis und Realos soll wirklich vorbei sein? Bei der Grünen Jugend gibt es viele Stimmen, die ein grundsätzlich anderes politisches und wirtschaftliches System fordern…

Fischer: Ach, die Grüne Jugend, die darf das natürlich. Aber man darf sie nicht zu ernst nehmen.

Rundblick: Das hört die Grüne Jugend bestimmt nicht gern.

Fischer: Aber es ist doch meine Meinung. Die große Mehrheit der Partei will keine ideologischen Debatten mehr, sondern gute, verantwortungsbewusste Politik.

Nur in Deutschland glaubt man immer noch, man müsse das Geld zusammenhalten und dürfe die nötigen Investitionen, etwa in die Infrastruktur, vernachlässigen.

Rundblick: Immerhin hat eine knappe Mehrheit des jüngsten Bundesparteitages beschlossen, dass es eine Abkehr von der Schuldenbremse geben soll. Ist das nicht Ausdruck einer Politik, die das wichtige Ziel der Haushaltskonsolidierung missachtet?

Fischer: Nein. Ich bin sehr für diese Abkehr, weil die Schuldenbremse verkehrt ist. Wir gehören zu den vier großen Volkswirtschaften in der Welt – und drei von diesen vieren haben die Zeichen der Zeit erkannt und investieren. Ob es China ist, Japan oder die USA, überall wird die Aufgabe erkannt, überall werden die Möglichkeiten, die der Finanzmarkt bietet, auch genutzt. Nur in Deutschland glaubt man immer noch, man müsse das Geld zusammenhalten und dürfe die nötigen Investitionen, etwa in die Infrastruktur, vernachlässigen. Ich meine, die Deutschen sollten ihre finanzielle Stärke nutzen. Denn was geschieht, wenn wir nicht investieren – dann verlieren wir die wichtigen wirtschaftlichen Partner. Für Haushaltsdisziplin bin ich sehr zu haben, allerdings nicht in der ideologisch überhöhten Form. Einige meinen, am deutschen Wesen der strikten Sparpolitik könne die Welt genesen. Doch das ist eine maßlose Überschätzung der Möglichkeiten deutscher Politik.

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Rundblick: Wo sollten wir denn Ihrer Meinung nach vor allem investieren?

Fischer: In der Infrastruktur. Viele Brücken können nicht mehr befahren werden, viele Schulen haben eine Renovierung dringend nötig. Und was die digitale Zukunft betrifft – hier drohen wir den Anschluss zu verlieren. Wenn wir hier den Anschluss verlieren, dann wird die Gestaltung der Zukunft für uns sehr schwer.

Rundblick: Nochmal zu den Grünen. Diskutiert wird auch darüber, ob in der Bundesrepublik eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit möglich wäre. Was halten Sie davon?

Fischer: Was es heißt, wenn die Linkspartei mitregiert, erlebe ich jeden Tag im Land Berlin. Die Baupolitik der Stadt ist antikapitalistisch und im hohen Maße ideologisiert. Nötige Neubauvorhaben, etwa für Schulen – Fehlanzeige. Ich bin kein Freund der Kooperation mit der Linkspartei. Aber ich habe bei den Grünen keine aktive Rolle mehr und halte mich deshalb zurück.

Die Linkspartei hat eine Menge Fragen zu klären – und solange hier keine Antwort feststeht, halte ich eine Regierungsbeteiligung nicht für angebracht.

Rundblick: Sie reden über die Landespolitik der Linkspartei. Was ist mit der Außen- und Sicherheitspolitik?

Fischer: Die Linkspartei hat eine Menge Fragen zu klären – und solange hier keine Antwort feststeht, halte ich eine Regierungsbeteiligung nicht für angebracht. Da ist das Verhältnis zu Russland und zu dessen Präsidenten Wladimir Putin. Da geht es um die Auslandseinsätze der Armee. Wenn es um die Nato und die Bundeswehr geht, lehnen sie sie ab. Wenn es um Putins Agieren in der Ukraine geht, gehen sie schweigend darüber hinweg. Das ist keine seriöse Grundlage für eine Zusammenarbeit.

Rundblick: Ein Wort zur Zukunft der EU. Sehen Sie nicht mit Sorge, dass in immer mehr Ländern, Ungarn und Polen als Beispiel, die freiheitliche Demokratie nicht mehr den Wert genießt, den sie einst hatte?

Fischer: Wir müssen den Menschen in Osteuropa mehr Zeit geben, sich zurecht zu finden. Wir müssen Geduld haben. Das Ergebnis der Europawahlen ist für mich schon ein Beispiel dafür, dass der Nationalismus nicht stärker wird. Die demokratischen Kräfte haben klar gewonnen. In Ungarn hat vieles mit der Skepsis gegenüber den Westmächten zu tun, die mit den Friedensverhandlungen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zusammenhängen. In Polen spielt immer noch das Trauma eine Rolle, zwischen Russland und Deutschland eingezwängt zu sein. Aber ich bin optimistisch, dass sich alles zum Positiven entwickelt.

Wir müssen den Menschen in Osteuropa mehr Zeit geben, sich zurecht zu finden. Wir müssen Geduld haben.

Rundblick: Viele in Deutschland halten Donald Trump für einen gefährlichen Politiker…

Fischer: Trump ist eine Zäsur für die Politik, Ausdruck einer wahren Revolution – und das Symptom dieser Revolution. Die Mehrheit der US-Amerikaner lehnt die Rolle Amerikas als Weltpolizist ab. Sie wollen nicht mehr Ordnungsmacht sein. Und ich glaube, es gibt kein Zurück mehr zu den alten Zeiten. Europa muss zum ersten Mal seit 1949 die Geschicke in die eigene Hand nehmen. Das wird schwierig genug. Nur ein Beispiel: Glauben Sie, dass die Briten für den Brexit gestimmt hätten, solange es noch die Sowjetunion gab? Ich glaube, sie hätten es nicht. Das beschreibt die Größe der Probleme, vor die wir gestellt sind.