Darum geht es: Die rot-grüne Mehrheit im Landtag will sich heute in einer Entschließung vom „Radikalenerlass“ distanzieren – und für die Betreuung der Betroffenen einen Beauftragten einsetzen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum:

Auf den letzten Metern drückt die rot-grüne Mehrheit im Landtag bei manchen Vorhaben so sehr auf das Gaspedal, das man Sorge um die Inhalte haben muss. Der Entschließungsantrag zum „Radikalenerlass“, der heute Nachmittag im Plenum endgültig beschlossen werden soll, ist ein Beispiel dafür. Hier geht Schnelligkeit vor Sorgfalt – und es offenbart sich bei den Akteuren ein erschreckendes Maß an Einseitigkeit oder Unkenntnis. Mit dem „Radikalenerlass“ der siebziger und achtziger Jahre ist eine 1972 geschlossene Vereinbarung zwischen dem damaligen Kanzler Willy Brandt und den elf Ministerpräsidenten gemeint. Das Ziel war, Mitglieder von radikalen Organisationen, besonders der linksextremen DKP, aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten.

Beim Radikalenerlass spielte die damalige DDR keine unmaßgebliche Rolle  -  Foto: Detlef

Beim Radikalenerlass spielte die damalige DDR keine unmaßgebliche Rolle – Foto: Detlef

Rückblickend hat es damals pauschale Vorgehensweisen und Ungerechtigkeiten gegeben, wenn beispielsweise Sozialpädagogen von Tätigkeiten, die weder politisch noch hoheitlich waren, ausgeschlossen wurden. Das geschah in einigen Fällen so sehr unter Missachtung der persönlichen Umstände, dass die Betroffenen später vor Gericht erfolgreich gegen ihre Ausgrenzung angingen. All dies passierte aber auch in einer Zeit des kalten Krieges, und die DKP und ihre Vorfeldorganisationen wurden – wie wir heute wissen – nicht unmaßgeblich von der DDR finanziert und wohl auch gesteuert. Das Ziel ihrer Aktivitäten war die Destabilisierung der Bundesrepublik. Für eine gründliche und objektive Aufarbeitung dieser Geschichte gibt es genügend Bedarf, und wenn dies das Ziel von Rot-Grün wäre, könnte man das nur begrüßen.

Aber der Antrag der beiden Regierungsfraktionen will genau dies nicht, er nimmt vielmehr gleich das Ergebnis der eigentlich nötigen Untersuchung vorweg. In dem Antrag heißt es: „Bis weit in die achtziger Jahre vergiftete die Jagd auf vermeintliche ,Radikale‘ das politische Klima. Statt Zivilcourage und politisches Engagement zu fördern, wurde Duckmäusertum erzeugt und Einschüchterung praktiziert.“ Dieses Urteil ist, gelinde gesagt, anmaßend. Tatsächlich war der Radikalenerlass in jener Zeit ein großes Streitthema, und duckmäuserisch sind seine Kritiker weder damals noch heute aufgetreten. Die Grünen-Landesvorsitzende Meta Janssen-Kucz ließ sich kürzlich im Innenausschuss zu der Bemerkung hinreißen, es seien „Oppositionelle“ damals „durchleuchtet“ worden. Diese Wortwahl ist verräterisch. Tatsächlich sind Mitglieder von Organisationen, an deren Verfassungstreue es aus gutem Grund große Zweifel gab, nicht für den öffentlichen Dienst zugelassen worden – denn diese Tätigkeit erfordert eine besondere Staatstreue. Die Ausdrücke von Janssen-Kucz legen den Verdacht nahe, es habe sich bei der Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren um ein Regime gehandelt, das Kritiker mundtot habe machen wollen.

Dass dieser Unsinn in den Köpfen mancher Befürworter des rot-grünen Entschließungsantrags herumgeistert, hat durchaus seinen Grund – und der liegt in Fehlern der politischen Diskussionskultur. Die Konservativen und Liberalen haben den Radikalenerlass schon lange abgehakt, sie beschäftigen sich nicht mehr damit. Die einzigen, die seit Jahren für eine „Rehabilitierung“ streiten, sind Vertreter der Betroffenen aus dem politisch linken Milieu. Die Debatte kreist dort um sich selbst, man bestätigt sich gegenseitig. Nicht alle, die dort agieren und argumentieren, tun das mit guten Absichten.  An der Kampagne gegen „Berufsverbote“ beteiligen sich eben auch Gruppen, denen es in Wahrheit um die Diskreditierung der Bundesrepublik geht – damit die wirkliche Gesinnungsschnüffelei und Verfolgung von Oppositionellen, die in den siebziger und achtziger Jahren in der DDR im Auftrag der SED stattgefunden hatte, relativiert und verniedlicht werden kann. Das ist Geschichtsklitterung, und die rot-grüne Mehrheit im Landtag sollte aufpassen, dass sie sich nicht vor diesen Karren spannen lässt.

Sollte es heute nicht mehr denn je darum gehen, die Grundsätze der Verfassungstreue hoch zu halten und stärker als früher von allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ein Bekenntnis zu den demokratischen Grundsätzen zu verlangen? Die Gefahr einer Unterwanderung von radikalen, das System bekämpfenden Gruppen droht heute wie damals. Auch wenn es heute stärker rechtsradikale, völkische und rassistische Kräfte sind.

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