Die respektlosen Feinde des Rechtsstaats finden sich überall
Darum geht es: „Keine Trinkexzesse im öffentlichen Raum“, fordert der Niedersächsische Städtetag und plädiert für entsprechend klare Bestimmungen im geplanten neuen Polizeigesetz. An Christi Himmelfahrt hatte ein solcher Trinkexzess in Ganderkesee zu einer Massenschlägerei und Angriffen auf Polizisten geführt. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Alkohol lässt häufig die schlechtesten Seiten von Menschen zum Vorschein kommen. Die enthemmende Wirkung führt dazu, dass Betrunkene plötzlich Dinge sagen, die sie im Normalzustand lieber ungesagt lassen. Betrunkene benehmen sich manchmal auch daneben, überschätzen sich selbst und neigen im schlimmsten Fall zu Gewalt. Alkohol ist ein Verstärker. Er bringt nichts zum Vorschein, was nicht ohnehin in uns allen schlummern würde. Das führt dazu, dass die Krawalle von Ganderkesee auch noch einmal in einem anderen Licht gesehen werden müssen. Denn hier geht es nicht allein um einen randalierenden, alkoholisierten Mob. Es geht auch um fehlenden Respekt – sowohl anderen Menschen als auch dem Rechtsstaat gegenüber.
Ganderkesee ist kein Einzelfall
Was stimmt eigentlich in unserem Land nicht? Die Attacke in Ganderkesee ist kein Einzelfall. Vor wenigen Tagen schmissen Jugendliche Steine auf zwei Polizisten und eine Polizeistation im schleswig-holsteinischen Preetz. In Heidelberg griff ein Betrunkener Polizisten an, die ihm helfen wollten. Drei Beamte wurden verletzt. Attacken auf Polizeibeamte gehören inzwischen zum Alltag. Die Verrohung und Verprollung, die sich tagtäglich im Kleinen abspielt, nimmt bei Massen-Besäufnissen dann exponentiell zu. Man muss sich nur einmal an einem Fußball-Samstag in Stadionnähe durch die Innenstadt quälen oder an Christi Himmelfahrt vor die Tür gehen. Der Tag des „Aufstieg des Herren“ ist inzwischen zu einem reinen Festtag für Pseudo-Väter geworden, die grölend und alkoholisiert Bollerwagen hinter sich herziehen. Das gute Benehmen liegt häufig auch im Bollerwagen unter Bierflaschen begraben.
Wer mit dem Finger mahnend auf Flüchtlinge zeigt, auf den zeigen inzwischen etliche Finger zurück.
Die Alkohol-Aussetzer machen auch deutlich, wie unsinnig die deutsche Leitkultur-Debatte ist. Denn während es bei der Attacke auf Polizisten in einer Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen einen Aufschrei samt unverzüglicher Reaktion des Bundesinnenministers gab („Das ist ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“), fiel die Reaktion auf die Randale in Ganderkesee deutlich gedämpfter aus. Dabei war es im Prinzip derselbe Vorfall. Zugunsten der Flüchtlinge spricht dabei noch, dass sie sich in einer Ausnahmesituation befinden, während die vermeintlich braven deutschen Staatsbürger in Ganderkesee morgens ihr Einfamilienhaus verließen, um mit Alkohol kräftig zu feiern – was immer man auch darunter verstehen möchte. Wer mit dem Finger mahnend auf Flüchtlinge zeigt, auf den zeigen inzwischen etliche Finger zurück.
Lindners Bäcker-Vergleich ist unsinnig
Der Vergleich zwischen Ellwangen und Ganderkesee zeigt auch, wie unsinnig der Bäcker-Vergleich des FDP-Vorsitzenden Christian Linder am Wochenende war. „Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“, hatte Lindner gesagt. So weit, so richtig. Man kann eben aber auch nicht erkennen, ob der blonde Familienvater mittleren Alters vergangene Woche beim Vatertag noch Polizisten attackiert hat.
Die respektlosen Feinde des Rechtsstaats, die sich über Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzen, finden sich überall und nicht nur im Flüchtlingsheim um die Ecke, wie von (rechts)populistischer, interessierter Seite gerne behauptet. Man sollte sich erst einmal an die eigene Nase fassen, würde Otto Normalverbraucher sagen. Gandhi drückt es natürlich besser aus: „Sei du selbst die Veränderung, die Du Dir für diese Welt wünschst.“