Der Naturschutzbund Niedersachsen (Nabu) plant ein Volksbegehren zum Artenschutz und will damit die Landesregierung zum Handeln zwingen. Im Interview mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erläutert Niedersachsens Nabu-Landesvorsitzender Holger Buschmann, warum er von der Landesregierung allerdings wenig Entgegenkommen erwartet und wieso er darin eine Bedrohung für die Demokratie sieht.

Wenn sich die Gesellschaft nicht ändert, kommt es zu Konflikten, warnt Nabu-Landeschef Holger Buschmann im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter – Foto: Nabu/nkw

Rundblick: Herr Buschmann, der Nabu plant ein Volksbegehren für mehr Artenschutz, wie wir es zum Beispiel auch schon aus Bayern kennen. Wie geht es damit voran?

Buschmann: Wir bereiten das mit vielen Partnern vor, aber ein Volksbegehren bedeutet natürlich auch einen hohen Ressourcenaufwand. Das lohnt sich also nur dann, wenn die Landesregierung die Forderungen nicht aufgreift – und darauf setzen wir noch. Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier nicht um ein Spiel geht, sondern um unsere Lebensgrundlage. Die wissenschaftlichen Daten werden immer deutlicher: Ganz aktuell ist eine Studie der TU München veröffentlicht worden, die die Krefelder Studie nicht nur bestätigt, sondern auch deutlich macht, dass es noch deutlich schlimmer ist. Demnach ist die Insektenbiomasse in den letzten zehn Jahren im Offenland um 60 bis 70 Prozent und selbst in Waldbereichen um fast 40 Prozent zurückgegangen. Aber auch die Artenzahl ist um lockere 36 Prozent verringert. Es ist dramatisch, was da draußen passiert, und es geht immer schneller.


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Rundblick: Was stimmt Sie denn zuversichtlich, dass jetzt von der Landesregierung doch noch etwas kommt?

Buschmann: Richtig zuversichtlich stimmt mich nicht allzu viel. Ich sehe bei der Landesregierung keine bedeutenden Aktivitäten in dieser Richtung. Das Insektenprogramm, das jetzt kommen soll, ist aus unserer Sicht zu schwach, weil es genau die kritischen Punkte nicht betrachtet. Aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Wir hoffen nach wie vor, dass sich die Politik aufmacht und das umsetzt, was die Bevölkerung für die Zukunft braucht. Dazu gehört ein vernünftiges Klimaschutzgesetz, dazu gehört ein vernünftiges Artenschutzgesetz. Aber was wir zurzeit sehen, ist eher, dass sie über den Windenergieerlass den Artenschutz aufweichen wollen. Auf Bundesebene haben wir zudem jetzt ein Beschleunigungsgesetz vorliegen, das durch das Hintertürchen Klimaschutz ermöglichen soll, große Infrastrukturprojekte wie Schnellbahnstrecken, die dem Klimaschutz überhaupt nichts bringen werden, ohne Planfeststellungsverfahren und damit natürlich auch ohne tatsächliche Beteiligung der Bevölkerung umzusetzen. Das sind kontraproduktive Dinge, die ich bei den Stimmungen, die ich in der Bevölkerung wahrnehme, überhaupt nicht nachvollziehen kann. Man merkt, wie sich die ehemals großen Parteien damit zerstören und ihre Wähler abschrecken.

Wir haben eine Wachstumsgesellschaft, die am Ende ihres Wachstums angelangt ist. Das kann so nicht weitergehen.

Rundblick: Das klingt so, als seien Sie von der Politik insgesamt enttäuscht. Was ärgert Sie?

Buschmann: Wir haben elementare Probleme, die auf unsere Gesellschaft zukommen – und gleichzeitig hat die Politik keinerlei Antworten, wie wir damit umgehen sollen. Wir haben eine Wachstumsgesellschaft, die am Ende ihres Wachstums angelangt ist. Das kann so nicht weitergehen und das heißt, dass wir uns transformieren müssen. Wir haben immer größere Umweltprobleme und das spürt die Bevölkerung. Dadurch steigt natürlich der Frust, weil der Einzelne sieht, dass da elementare Dinge passieren, die nicht nur unsere Nachkommen betreffen, sondern die uns alle noch aktuell betreffen werden. Die Menschen merken, dass auf der Windschutzscheibe weniger Insekten sind. Sie merken, dass weniger Schmetterlinge im Garten fliegen. Sie merken, dass plötzlich die Sommer sehr trocken werden, es gibt mehr Stürme und so weiter.


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Rundblick: Sie sagen, die Gesellschaft müsse sich transformieren. Wie stellen Sie sich das vor? Wo geht es hin?

Buschmann: Es wird in jedem Fall eine Suffizienz geben müssen. Wir können in der Form, wie wir jetzt leben, nicht weiterleben. Ein „höher, schneller, weiter“ kann es nicht geben, denn das funktioniert nicht mehr. Wir müssen eine höhere Energieeffizienz erreichen und wir müssen Energie einsparen. Bislang führen Energieeinsparungen aber nur dazu, dass wir zwar zum Beispiel Automotoren bauen, die weniger verbrauchen. Dafür kaufen wir dann aber größere Autos. Davon müssen wir runterkommen. Gelingt es uns nicht, unsere Gesellschaft dahingehend zu transformieren, wird es zum Zusammenbruch kommen, weil wir bereits deutlich über den Punkt hinaus sind, den die Erde ertragen kann. Es wird zu Auseinandersetzungen kommen um Wasser, um Nahrungsmittel, um Geld, und selbst darum, wer noch fliegen darf und wer nicht. Diese Herausforderungen stehen noch vor uns und deshalb haben wir eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Es besteht die große Gefahr, dass viele Menschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Das darf aber nicht sein, denn wir haben bisher noch kein besseres System kennengelernt.

Rundblick: Es scheint, als habe eine ganze Generation diese Problematik erkannt und geht deshalb auf die Straße. Es soll der Klima-Notstand ausgerufen werden und manche fordern den Systemwechsel. Wie kann aus diesem Protest Politik werden?

Buschmann: Ich bin begeistert, dass jetzt die jungen Leute aufstehen und auf die Straße gehen. Das haben wir seit Jahrzehnten nicht gehabt. Was ich so spannend finde, ist, dass sich die jungen Leute mit den Inhalten auseinandersetzen. Sie sehen zunächst: Da tut sich etwas, deshalb müssen wir Klimaschutz betreiben. Das ist aber leichter gesagt als getan, denn die stecken natürlich nicht in allen Details. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe als Verband, der seit 120 Jahren nichts anderes macht, das in demokratische Bahnen zu lenken. Seit vielen Jahrzehnten entwickeln wir die Lösungen, wie man diese Probleme angehen kann. Sie werden aber bisher nicht gehört, weil dem starke Lobbyinteressen einzelner Gruppierungen entgegenstehen und gleichzeitig die Parteien die Verbindung zur Bevölkerung verloren zu haben scheinen. Es besteht die große Gefahr, dass dadurch viele Menschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Das darf aber nicht sein, denn wir haben bisher noch kein besseres System kennengelernt. Alles andere sind autoritäre Systeme und die laufen immer schlechter – zumindest aus der geschichtlichen Erfahrung heraus. Deshalb stehen wir vom Nabu auch ganz klar hinter der Demokratie und wir müssen es schaffen, in der Demokratie mit der Gesellschaft die Dinge anzupacken.