Die Politikerin der Woche…
…gehört dem Landtag erst seit einem Jahr an, ist auch erst seit drei Jahren Mitglied ihrer Partei. Die Neueinsteigerin müsste eigentlich nach den Regeln der Politik noch zu den Hinterbänklern gehören. Doch sie hat in dieser Woche gezeigt, dass sie für heikle taktische Manöver durchaus geeignet ist. Sie führte eine Bewegung in ihrer Fraktion an, die nun in einem Antrag mündet, der viel Aufmerksamkeit erregen dürfte. Denn im Landtag steht nächste Woche eine Abstimmung bevor, die eine Ampel-Mehrheit von SPD, Grünen und FDP zeigen dürfte. Diese Entwicklung ist auch ihr zu verdanken.
Die Politikerin der Woche heißt…
…Wiebke Osigus, ist 37 Jahre alt und Mutter dreier Kiinder, hat eine juristische Ausbildung und gehört seit November 2017 der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag an.
Die Juristin hatte bis zur Wahl in den Landtag als Rechtsanwältin gearbeitet, zeitweise war sie auch selbstständige Mediatorin – also eine Frau, die es gewohnt ist, Wege zur Schlichtung von Streit zu finden. Zur Politikerin der Woche haben wir die Abgeordnete aus Neustadt am Rübenberge (Region Hannover) aus zwei Gründen gewählt. Erstens, weil sie schon nach einem knappen Jahr Landtagsarbeit mit einer wichtigen Aufgabe betraut wurde – sie durfte die SPD-Fraktion vor dem Staatsgerichtshof Bückeburg bei der AfD-Klage gegen die Zusammensetzung des Stiftungsrates der Stiftung Gedenkstätten vertreten. Zweitens, weil sie in den vergangenen Monaten in einer schwierigen Mission unterwegs war, die dann in der zurückliegenden Woche in einen Antrag für den Landtag mündete. Dieser zweite Grund ist für die Redaktion der entscheidende gewesen.
„Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche?
Zur Vorgeschichte: Vor gut einem Jahr, im Herbst 2017, wurde eine Ärztin in Gießen nach dem Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs verurteilt – weil sie Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gemacht habe. Diese Vorschrift im Strafgesetzbuch verbietet, dass Abtreibung angekündigt, angeboten oder angepriesen wird – sofern dies geschieht, um einen eigenen Vermögensvorteil zu erzielen. Kritiker halten die Vorgabe für fatal, denn damit würden Ärzte eingeschüchtert und könnten schwangeren Frauen, die abtreiben wollen, ihre Dienste gar nicht mehr anbieten. Im Dezember 2017 legten FDP und Grüne eigene Gesetzentwürfe vor, die jeweils eine Aufforderung an die Landesregierung enthielten, auf Bundesebene für die Abschaffung des Strafrechtsparagraphen 219a hinzuwirken. Aber die parlamentarische Beratung darüber kam nur schwerfällig in Gang.
Vorstoß von Osigus
Der SPD waren die Hände gebunden. Einerseits stimmte der Großteil der Landtagsfraktion den Vorstößen von FDP und Grünen inhaltlich zu, andererseits gilt aber der Koalitionsvertrag. Dieser gibt vor, dass Anträge nur von SPD und CDU gemeinsam eingebracht werden und wechselnde Mehrheiten ausgeschlossen sind. Man musste sich hier also auf eine Sonderbestimmung im Koalitionsvertrag berufen, wonach bei Gewissensentscheidungen der einzelnen Abgeordneten keine Fraktionsdiziplin gilt. Hier ging nun Osigus ans Werk, unterstützt von einigen Fraktionsmitgliedern wie dem aus Oldenburg stammenden Rechtsexperten der Landtagsfraktion, Ulf Prange. Bis auf vier Fraktionsmitglieder (darunter dem Ministerpräsidenten) fanden sich alle SPD-Landtagsabgeordneten als Mitautoren eines sogenannten „Gruppenantrags“ bereit, der die erst nur von Grünen und FDP erhobene Forderung aufgreift und unterstützt. Auch die Grünen- und FDP-Abgeordneten folgten diesem Antrag, woraufhin Grüne und FDP inzwischen entschieden haben, ihre eigenen ursprünglichen Vorstöße zurückstellen zu wollen.
Große Chancen im Plenum
Da die Sammelaktion von Osigus, Prange und einigen anderen am Ende eine stolze Namensliste von 74 Abgeordneten zutage förderte, sind nun die Erfolgsaussichten der Initiative nächste Woche in der Plenartagung des Landtags enorm. 74 Stimmen sind fünf Mehr als zur absoluten Mehrheit nötig sind, damit steht nun in dieser Sachfrage sehr wahrscheinlich eine Ampel-Mehrheit im Landesparlament. Zur Belastungsprobe für die Koalition und zur Blamage für die CDU wird dieser Vorgang nur deshalb nicht, weil die Führungen beider Koalitionsfraktionen frühzeitig den Ball betont flach gehalten hatten. Es hieß, hier handele es sich um eine Gewissensfrage, die auch innerhalb von SPD und CDU nicht einheitlich eingeschätzt werde. Deshalb liege die freie Entscheidung jedes Abgeordneten nah. Das mag die Wahrheit sein, trotzdem lässt der Erfolg des Ampel-Antrags im Landtag aufhorchen – es zeigt sich immerhin, dass die Mehrheiten nicht so festgefügt sind, wie es manchmal scheint. Und das liegt auch am Geschick von Osigus in dieser Frage. Glückwunsch von der Rundblick-Redaktion zum Titel!