…ist geschehen in Delmenhorst, einer kreisfreien Stadt mit 77.000 Einwohnern vor den Toren Bremens. Dort ist vor wenigen Tagen per Zufall aufgefallen, dass sich die Stadt einen Verwaltungsausschuss (VA) leistete, der um zwei Plätze zu groß ist. Er umfasste 13 und nicht wie vorgeschrieben maximal elf Sitze.

Ein Versehen, mag man denken, aber ist das so schlimm? Ja, es ist schlimm: Denn der VA ist ein wichtiges Gremium zur Vorbereitung von Ratssitzungen – und weil die Zusammensetzung nicht stimmte, sind nicht nur alle VA-Beschlüsse rechtswidrig, sondern zudem auch noch alle vom VA vorbereiteten Ratsbeschlüsse. Das betrifft Verträge, Bebauungspläne, Personalien und Satzungen.


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Alles, was zwischen November 2016 und Januar 2020 in Delmenhorst festgelegt wurde, also für mehr als drei Jahre, steht unter Vorbehalt. Nun hat sich die Stadt daran gesetzt, zunächst den VA zu verkleinern und dann die alten Beschlüsse noch einmal zu wiederholen, damit sie Rechtsgültigkeit erlangen. Aber das ist nicht nur eine Posse, sondern schon ein gravierender Vorgang.

Wer trägt die Verantwortung?

Der Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung hat die Pflicht, die Ratsbeschlüsse auf ihren rechtlichen Gehalt zu überprüfen. Das macht er zwar nicht selbst, aber im Rathaus muss es jemand geben, der darauf achtet und die Vorgänge sorgfältig prüft. Oberbürgermeister Axel Jahnz (SPD) hat just in dieser Woche angekündigt, bei der nächsten OB-Wahl im Spätsommer oder Herbst 2021 nicht erneut kandidieren zu wollen. Das hat allerdings vermutlich andere Gründe, denn Konflikte gibt es in Delmenhorst zuhauf. Erst Mitte Januar wurde der Vorgang mit dem zu großen VA publik. Jahnz hatte indes schon Anfang Januar einen Brief an die Lokalredaktionen in Delmenhorst geschrieben und die Redakteure gebeten, diesen erst am 22. Januar zu öffnen. „Alle Redakteure haben sich auch daran gehalten“, berichtet der OB. In dem am 7. Januar verfassten Brief steht nun drin, dass er 2021 nicht erneut kandidieren wird. Für Jahnz ist das ein Beleg dafür, dass sein Rückzug schon feststand, bevor der VW-Skandal überhaupt bekannt war.

Wie konnte der Fehler passieren?

Tatsächlich gibt es die Möglichkeit für die Stadt, die Zahl der Mitglieder des VA um zwei zu erhöhen. Darauf bezog sich der Rat nach der Kommunalwahl 2016 – und die Verwaltung sah auch kein Problem darin. Was übersehen wurde, war aber folgendes: Schon Jahre zuvor hatten die Delmenhorster die Ausnahmeregelung genutzt, der VA war mit elf Mitgliedern schon um zwei größer als eigentlich vorgesehen. Die Ausnahmeregel wurde also ein zweites Mal – und damit rechtswidrig – verwendet. Die Stadt hatte es 2016 also versäumt, die Vorgeschichte der Größenbestimmung des eigenen VA zu überprüfen. Das ist sicher ohne böse Absicht geschehen, aber an Peinlichkeit ist der Fall kaum zu überbieten.

Wie ist der Fehler aufgefallen?

Es gibt Hinweise, dass ein Student der Verwaltungswissenschaften in seiner Bachelor-Arbeit die Größe der Gremien in Delmenhorst untersuchte und dabei auf die Abweichung zwischen der gesetzlichen Höchstzahl und der tatsächlichen Zahl der Mitglieder des VA stieß. Dann fiel es im Rathaus auf, die Stadtverwaltung informierte reumütig die Kommunalaufsicht im Innenministerium – und der Fall drang an die Öffentlichkeit. Das interne Prüfsystem in der Stadtverwaltung kam von allein nicht auf den Fehler.

Kommt die Stadt das alles teuer zu stehen?

Der OB verfolgt die Strategie, möglichst alle VA- und Ratsbeschlüsse so zu wiederholen, wie sie seinerzeit gefasst worden waren. Es möge sich „um ein paar hundert Beschlüsse handeln“, meint Jahnz. Da es sallerdings teilweise auch um höchst umstrittene Vorhaben ging, ist die Wiederholung kein einfaches Unterfangen – sie kann nur gelingen, wenn die Mehrheit im Rat bei Jahnz‘ Absicht auch konsequent mitzieht. Wenn es tatsächlich gelingen sollte, sämtliche alten Festlegungen unverändert neu zu treffen und sie somit rechtlich wasserdicht zu machen, ist die Gefahr von Regressforderungen oder anderen Ansprüchen am geringsten. Was aber geschieht, wenn manche Beschlüsse nun, nach Ablauf von Jahren, auf einmal anders ausfallen? Dann sind Regressansprüche derer, die sich auf die alten (aber rechtswidrigen) Ratsbeschlüsse berufen, zu erwarten. Solche Ansprüche dürften dann durchaus mit Erfolg vorgetragen werden können.