„Die Nord/LB sollte drastisch schrumpfen – und zwar jetzt, weil es ihr noch gut geht“
Prof. Dr. Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover, hält die staatlichen Landesbanken für ein Relikt aus früheren Zeiten. Er wirbt im Interview mit Klaus Wallbaum für Reformen.
Rundblick: Herr Prof. Homburg, es gibt widersprüchliche Informationen über die Lage der Norddeutschen Landesbank. Der Vorstand beteuert, auf gutem Weg zu sein. Gleichzeitig kursieren in Landtagskreisen Vermutungen, das Land könne zu einer Finanzspritze genötigt sein. Wie beurteilen Sie die Situation?
Prof. Homburg: Banken sind heutzutage „black boxes“. Anders als Unternehmen der Realwirtschaft, wie Maschinen- oder Fahrzeugbauer, lassen sich Banken anhand ihrer Bilanzen, Berichte und Jahresabschlüsse nur schwer einschätzen. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens dürfen Banken ihre Finanzaktiva mittels selbstgewählter mathematischer Modelle bewerten. Zweitens entscheiden sie relativ frei über die Vorsorge für Kredite, die möglicherweise ausfallen. Insbesondere haben die Banken einen weiten Entscheidungsspielraum, ob sie gefährdete Kreditbeziehungen beenden und die Kredite abschreiben – oder ob sie die Verträge tilgungsfrei zu minimalen Zinsen weiterlaufen lassen. Der zweite Weg erspart schmerzhafte Abschreibungen, die das Eigenkapital der Bank sofort mindern würden.
Rundblick: Was heißt das für die Nord/LB?
Prof. Homburg: Die Eigentümer der Norddeutschen Landesbank, die Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, sowie Sparkassenorganisationen aus diesen beiden Ländern und Mecklenburg-Vorpommern, haben bekanntlich kein Interesse an der Zuführung frischen Eigenkapitals. Die Sparkassen in Niedersachsen, die wie alle Banken derzeit unter der Niedrigzinsphase leiden, haben sogar schon signalisiert, im Fall der Fälle an einer Kapitalerhöhung nicht mitwirken zu wollen. Daraus erwächst der Wunsch der Eigentümer, die Bank möge es mit der Kreditvorsorge nicht übertreiben.
Rundblick: Aber ist das nicht gefährlich?
Prof. Homburg: Durchaus. Die Nord/LB hat, wenn ich mir die Zahlen von Ende Juni dieses Jahres ansehe, eine Bilanzsumme von 170 Milliarden Euro und ein Eigenkapital von 6,3 Milliarden. Das entspricht einer Eigenkapitalquote von nur 3,7 Prozent. Nichtfinanzielle Unternehmen haben typischerweise Eigenkapitalquoten um die 50 Prozent. Für den Fall einer möglichen Wirtschaftskrise heißt das folgendes: Schon bei einer Minderung der Forderungen von 4 Prozent ist das Eigenkapital der Nord/LB aufgebraucht, die Bank insolvent und der Steuerzahler gefragt. Mit diesem Problem steht die Nord/LB natürlich nicht allein, gleichwohl handelt es sich um einen Ritt auf der Rasierklinge.
Rundblick: Aber von einer derartigen Krise ist ja derzeit nicht auszugehen, die Wirtschaft brummt doch…
Prof. Homburg: Tatsächlich erinnert die Lage an das Boomjahr 2007. Damals brach unversehens die Düsseldorfer IKB Bank zusammen, was weltweit den Beginn der Finanzkrise markierte. Die Kreditwürdigkeit der IKB war mit A+ bewertet worden, ihr Jahresabschluss hatte ein uneingeschränktes Testat erhalten. Ähnliches kann der Nord/LB und den meisten Banken auch heute jederzeit widerfahren.
Rundblick: Wurde die Bankenregulierung denn nicht erheblich gestrafft?
Prof Homburg: Die Eigenkapitalquoten der Banken sind nach wie vor viel zu gering. Darüber können auch die sogenannten „Kernkapitalquoten“ nicht hinwegtäuschen, die den Steuerzahler beruhigen sollen, indem sie das Problem verschleiern. Die impliziten Staatsgarantien durch ESM und spezielle Abwicklungsregeln sind heute sogar ausgeprägter als während der letzten Finanzkrise.
Rundblick: Was empfehlen Sie also?
Prof. Homburg: Ausgehend vom Werturteil, dass der Staat für Aufgaben wie Infrastruktur, Bildung und Umverteilung zuständig ist, nicht aber für Bankgeschäfte, täte das Land Niedersachsen gut daran, das dem Betrieb der Nord/LB innewohnende Risiko zu mindern. In der heutigen Niedrigzinsphase werden viele „Zombie-Kredite“ formal weitergeführt, obwohl längst Abschreibungen geboten wären, die freilich Eigenkapital kosten. Ich habe die Sorge: Falls die Wirtschaftslage sich wieder verschlechtert und die Nord/LB von Insolvenz bedroht ist – ähnlich wie dies HSH Nordbank, West/LB oder BayernLB widerfuhr – dann muss das Land Niedersachsen als größter Eigentümer finanziell einspringen. Kurzfristig mag das Land sich verschulden, langfristig jedoch binden Zins und Tilgung Gelder, die man sinnvoller für Bildung und andere Staatsaufgaben einsetzen könnte. Die momentan entspannte Wirtschaftslage markiert den richtigen Zeitpunkt, eine Reform zu anzugehen.
Rundblick: Wie kann die aussehen?
Prof. Homburg: Meines Erachtens sollte die Nord/LB gesundgeschrumpft werden, bevor die nächste Krise vor der Tür steht. Im Sport darf ein Schiedsrichter nicht zu einer der gegnerischen Mannschaften gehören. In der Wirtschaft ist das nach Ludwig Erhard ebenso: Bei Bankgeschäften sollte der Staat starker Schiedsrichter sein und nicht Mitspieler. Die Landesbanken hatten seit ihrer Entstehung in den 1960er und 70er Jahren durch die Gewährträgerhaftung einen unfairen Wettbewerbsvorteil und konnten dadurch, gedeckt vom Steuerzahler, Geschäfte machen. Nach Wegfall der Gewährträgerhaftung sind inzwischen etliche Landesbanken verschwunden, darunter die große West/LB. Niedersachsen sollte lieber vorausschauend handeln als die nächste Finanzkrise abwarten.
Rundblick: Was heißt das?
Prof. Homburg: Die Nord/LB würde ihr Anlage- und Kreditgeschäft zurückfahren und dadurch ihre Bilanzsumme Schritt für Schritt schrumpfen. Parallel dazu würde Personal sozialverträglich abgebaut, was im derzeit guten Umfeld kein großes Problem darstellt. Übrig bliebe eine Art Girozentrale plus, die Gemeinschaftsaufgaben für die Sparkassen übernimmt. Diese sollten dann auch alleinige Anteilseigner sein, während das Land Niedersachsen am Ende des Übergangsprozesses ausscheidet und damit sein finanzielles Risiko mindert.
Rundblick: Fehlt nicht ohne die Nord/LB ein wichtiges strukturpolitisches Instrument für das Land Niedersachsen?
Prof. Homburg: Nein. Das Land benötigt für Großprojekte keine eigene Bank. Deutschland ist, wie man in den USA sagt, „overbanked“. Private Banken und Sparkassen schließen seit Jahren fortwährend Filialen und fahren ihr Geschäft zurück. Das Argument, Niedersachsen bräuchte eine große Landesbank für strukturpolitische Zwecke, ist vorgeschoben. Projekte, die sich rechnen, werden auch ohne Staatsbank finanziert. Und von anderen Projekten sollte man die Finger lassen.