Die neue Stimme Luthers in Hannover
In wenigen Tagen tritt sie ihren Dienst in Hannover an – als Regionalbischöfin an der Seite von Landesbischof Ralf Meister. Die Frau ist überregional schon bekannt, als streitbare Publizistin hat sie sich einen Namen gemacht. Was will Petra Bahr in Hannover?
Ihre künftige Aufgabe ist zwar stark nach innen gerichtet, sie sei dann so etwas wie eine Pastorin für die Pastoren, sagt Bahr. Doch wer die 50-Jährige Theologin erlebt hat, der weiß um ihr Sendungsbewusstsein. Die engagierte Protestantin ist es seit Jahren gewohnt, sich in Debatten einzumischen, Diskussionen anzustoßen und dabei deutlich Position zu beziehen. „Luther mochte es klar. Diese Vorliebe teile ich“, sagt sie.
Wenige Wochen ist es her, da konnte eine größere Zuschauergemeinde zur besten Sendezeit in der ARD Petra Bahr sehen und hören. Ausgestrahlt wurde zunächst ein Fernsehfilm, der eine fiktive Frage behandelte: Ist ein Bundeswehrsoldat schuldig, der ein entführtes Passagierflugzeug abschießen lässt, bevor Terroristen dieses auf ein Fußballstadion steuern – und damit eine sehr viel größere Zahl von Menschen ermordet wird? Nach dem Film versuchte eine hochkarätige Runde von Politikern und Juristen, auf die Frage nach der Schuld eine Antwort zu finden. Diejenige, die dort sehr resolut und überzeugend auftrat, war Petra Bahr – und sie fand auch treffende Worte: „Hier gibt es nur eine Alternative zwischen falsch und falsch“, sagte sie. Aus einer solche Entscheidung komme „niemand moralisch mit weißer Weste heraus“, und der Soldat, der den Abschuss befahl, habe „große Schuld auf sich genommen, um viele Menschen zu retten“. Viele Zuschauer werden sich gefragt haben, wer diese energische Frau ist, die dort im Fernsehen redet. „Künftige Landessuperintendentin in Hannover“, war dann als Untertitel eingeblendet.
Petra Bahr kommt auf einem Umweg nach Hannover. Denn ihre Kirchenkarriere hatte sie unterbrochen – zugunsten eines stärker politischen und wissenschaftlichen Jobs. Geboren in Lüdenscheid, lernte sie erst den Journalistenberuf, studierte dann Theologie und Philosophie, promovierte über Immanuel Kant und beschäftigte sich intensiv mit dem Spannungsfeld von Recht, Religion und Politik. 2006 wurde sie erste Kulturbeauftragte der EKD, 2011 versuchte sie dann vergeblich, Nachfolgerin der scheidenden Bischöfin Maria Jepsen in Hamburg zu werden. Drei Jahre später wechselte Bahr zur Konrad-Adenauer-Stiftung, übernahm dort die Leitung der Hauptabteilung Politik, rückte also stärker an das politische Tagesgeschäft heran.
Warum geht sie dort jetzt wieder weg – und geht in die Provinz? „Regional ist doch gut. Ein fester Bezugsrahmen, eine Landkarte, deren Linien man auch wirklich bereisen kann“, sagt sie, „Orte, die man wirklich kennen lernen kann“. Vor allem aber habe sie zurückgewollt „in meine Kirche“. Bei der Adenauer-Stiftung habe sie viel von der Welt gesehen und vor allem gelernt, die Arbeit der Parlamentarier zu respektieren. Wenn Pastoren für einige Zeit außerhalb der Kirche arbeiteten, sei das eben auch „ein geistliches Abenteuer“, sagt Petra Bahr, die mit dem Juristen Hans Michael Heinig verheiratet ist, der Kirchenrecht an der Uni Göttingen lehrt. Und künftig? Sie hat bisher Texte für Zeitungen geschrieben, Bücher und Kinderbücher. Sie hat sich einen Ruf als kritischer Geist erworben. Wie wird sie in Hannover agieren, wenn es beispielsweise darum geht, auf das wachsende Phänomen des Populismus zu reagieren? Die „Orientierungsnotstände in einer von Unsicherheit durchrüttelten Welt“, sagt sie, seien „mit Händen zu greifen“. Es gebe eine große Sehnsucht nach „innerer Heimat, nach Zugehörigkeit und nach Trost“. Populisten würden nach Vereinfachungen streben, und was soll man nun tun? „Moralisieren hilft nicht und Dämonisieren hilft nur den Verteufelten. Populisten brauchen inhaltlichen Widerspruch mit Herz und Hirn. Pathetische Demokraten, die die repräsentative Demokratie verteidigen – das können Christen sein!“
Ihre besondere Leidenschaft, sagt Petra Bahr, gelte den „stummen Kirchenmitgliedern“. Das seien jene, „die selbstverständlich voller Zweifel evangelisch sind, ohne sich sichtbar zu beteiligen“. Das klingt wie eine Orientierung ins Innere des Kirchenlebens. Ob eine Frau wie sie, mit gewisser Prominenz ausgestattet, sich darauf konzentrieren kann? Vermutlich wird sie bei öffentlichen Terminen gefragter sein als ihr selbst recht ist. Das ist nicht die schlechteste Perspektive für die evangelische Landeskirche Hannover im neuen Jahr. (kw)