Darum geht es: Grüne und FDP haben gestern einen Vorschlag für eine Verfassungsänderung vorgelegt – damit die Oppositionsrechte wirksam verbessert werden können. Sie tun das, weil die Große Koalition sich dazu bisher nicht in der Lage sah. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Es war die allererste Ankündigung, die Stephan Weil und Bernd Althusmann im Anschluss an ihre allererste Sondierungsrunde nach der Landtagswahl verbreitet hatten – und zwar noch vor dem offiziellen Start von Koalitionsverhandlungen. Wenn die großen Parteien SPD und CDU zusammen regieren sollten, so versprachen die beiden Parteivorsitzenden damals, dann wolle man „die Rechte der Opposition stärken“. Denn natürlich sei ein lebendiger Parlamentarismus nur möglich, wenn die kleinen Fraktionen ihre Kontrollfunktion auch effektiv ausüben könnten.

Das Publikum nahm diese Botschaft mit Wohlwollen auf – und wenig später keimte die Hoffnung auf eine Verfassungsänderung, die Quoren absenkt und damit auch Untersuchungsausschüsse, Normenkontrollklagen und Aktenvorlagen erleichtert. Grüne und FDP wären dann nicht – wie jetzt – darauf angewiesen, bei jedem dieser Schritte die Zustimmung der AfD zu bekommen.

Ein Akt der Verzweiflung

Zu den ersten Enttäuschungen dieser Wahlperiode gehört, dass Weil und Althusmann ihr Versprechen bislang nicht eingelöst haben. Beide, heißt es jetzt, hätten sich intern gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen. Dass dieser Vorschlag nun von Grünen und FDP kommt, die keine Aussicht auf eine Mehrheit im Landtag haben, geschweige auf eine verfassungsändernde, ist schon ein Akt der Verzweiflung. Warum konnten SPD und CDU ihre Zusage nicht halten? Ist ihnen die Stärkung der Oppositionsrechte in Wahrheit egal?

Das wäre eine böswillige Unterstellung, denn die klugen Sozial- und Christdemokraten wissen selbstverständlich, dass eine zu schwache Opposition am Ende zwangsläufig zu einer schlechteren Regierungsarbeit führt. Vielleicht ist die Erklärung deshalb eine andere: SPD und CDU bringen, trotz ihrer satten Mehrheit im Parlament, nicht die Kraft zu wirklich gestaltender Reformpolitik auf. Sie sind knapp 150 Tage nach der Wahl in Wahrheit durch ihr gegenseitiges Misstrauen wie gelähmt. Wer den eigenen Partner nur immer skeptisch aus den Augenwinkeln betrachtet, ist nicht zu echt großen Schritten, wie die Verfassungsänderung einer wäre, in der Lage.

Das maximale Ziel scheint zu sein, möglichst keine Fehler zu machen und möglichst nicht angreifbar zu werden.

Die versprochene und nicht gehaltene Stärkung der Opposition ist nur ein Beispiel. Ein anderes ist die Finanzpolitik. Bisher haben sich SPD und CDU auf den Ausbau ihrer Stäbe in den Ministerien verständigt, auf neue Projekte in der Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, allen voran die Kindergärten. Alles, was konfliktbehaftet ist oder nur im Verdacht steht, Streit zu produzieren, wurde bislang ausgeklammert. So droht eine riesige Milliarden-Ausgabe zur Überlebenssicherung der Nord/LB den Landeshaushalt zu sprengen, aber in den Papieren des Finanzministers für das Kabinett wird darüber geschwiegen.

Es droht mächtiger Streit über die Frage, wie die Behördenlandschaft ausgedünnt und ein Stellen-Abbauprogramm für die Landesverwaltung ausgestaltet wird. Was die kommunale Seite angeht, sollen laut Koalitionsvertrag schon bis Mitte 2019 Ergebnisse vorliegen. Ein Gutachterauftrag aber ist immer noch nicht erteilt worden. Es droht ein Kräftemessen der Alpha-Tiere unter den Innenpolitikern der Koalitionsparteien, wenn ein neues Polizeigesetz vorgelegt wird. Schon vor Wochen wurde ein Entwurf erwartet, bis heute hat ihn Innenminister Boris Pistorius (SPD) noch nicht geliefert – sodass der CDU-Innenexperte Uwe Schünemann in der Neuen Osnabrücker Zeitung von gestern offen erklärte: „Ich habe den Eindruck, dass sich die SPD von dem behäbigen Regierungsstil aus der rot-grünen Zeit noch nicht verabschiedet hat.“

Gepflegte Langeweile ist kein Wunder

Dieser Tonfall ist für Regierungspartner ungewöhnlich, für den gegenwärtigen Zustand des rot-schwarzen Kabinetts aber symptomatisch: Man betrachtet sich gegenseitig voller Misstrauen, anstatt die Ärmel aufzukrempeln und endlich loszulegen. Wozu, fragt man sich, haben wir denn eine Große Koalition? Die breite Mehrheit im Landtag sollte als Puffer dafür dienen, notwendige und in einigen Regionen unpopuläre Beschlüsse auch gegen lokale Widerstände durchzusetzen – nämlich auch um den Preis, dass einige Abgeordnete wegen der davon berührten Interessen in ihrer Heimat dabei nicht mitziehen können. Eine große Gebietsreform ließe sich so auf den Weg bringen oder auch ein Sparprogramm, das überkommene Strukturen beseitigt.

Aber wenn die wichtigsten Akteure mit Blick auf die nächsten Wahlen – in viereinhalb Jahren – unpopuläre Schritte strikt vermeiden wollen, ist die gepflegte Langeweile, in der sich Niedersachsens Landespolitik derzeit befindet, gar kein Wunder mehr. Das maximale Ziel scheint zu sein, möglichst keine Fehler zu machen und möglichst nicht angreifbar zu werden. Als Finanzminister Hilbers vor wenigen Tagen gefragt wurde, warum denn die Große Koalition in Berlin nicht die Kraft zu einer großen Steuerreform aufbringe, reagierte er verblüfft: Große Koalitionen bestünden aus Volksparteien mit unterschiedlichen Ansätzen, und da komme man in bestimmten Fragen eben nicht zueinander. Das sei nun mal so.

Dieses ernüchternde Urteil gilt – leider – wohl auch für weite Teile der Landespolitik. Bleibt nur die Hoffnung, dass in das Kabinett von Stephan Weil endlich Mut und ein Geist des Miteinanders einziehen.

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