Die Marienburg offenbart ein massives Imageproblem der Grünen
Darum geht es: Die Grünen im niedersächsischen Landtag sind dagegen, dass das Land – über Umwege – dem Welfenhaus die Marienburg abkauft. Diese Haltung ist heikel für die Partei, meint Klaus Wallbaum.
Kann man sich Winfried Kretschmann vorstellen, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, wie er sich für den Abriss des Schlosses Ludwigsburg einsetzt? Ein Aufschrei wäre die Folge – und das nicht nur, weil kein Regierungschef eines Bundeslandes ernsthaft in Frage stellen kann, die alten Schlösser und Burgen möglichst zu erhalten. Das ist eine Aufgabe der landesweiten Kulturpflege, die bisher von keiner Landesregierung verneint wurde. Nein, Kretschmann würde auch deshalb solche Gedanken nie äußern, weil es extrem dem Bild widerspräche, dass der einzige Ministerpräsident der Grünen von sich zeigt: ein Konservativer, dem die Heimatpflege, das Brauchtum und die Traditionen nicht nur eine lästige Pflicht sind, der vielmehr aus innerer Überzeugung zu diesen Werten steht.
Die Spannweite, die derzeit die Grünen in Deutschland zeigen, wird mit Kretschmann auf der einen Seite markiert. Auf der anderen Seite stehen die Grünen in Niedersachsen, die nicht erst seit der vergangenen Vorstandswahl vor sechs Wochen am linken Rand des politischen Spektrums stehen. Nun ist es zwar nicht so, dass die Grünen gefordert hätten, die 150 Jahre alte Marienburg bei Pattensen abzureißen. Wenn man die Position der Landtagsfraktion, die jüngst in einer Pressekonferenz ausformuliert wurde, richtig beleuchtet, läuft es aber darauf hinaus: Die Grünen in Niedersachsen lehnen ab, dass das Land Niedersachsen – auf welchem Weg auch immer – der Welfenfamilie das Eigentum an dem Schloss abnimmt. Das Welfenhaus habe vermutlich genügend Geld parat, meinen Fraktionschefin Anja Piel und der Finanzexperte Stefan Wenzel. Nun hat aber Ernst August jr. angekündigt, das Schloss Anfang 2019 wegen eigener Finanzprobleme schließen zu wollen. Geht man nach der Logik der Grünen, dann würde man hinnehmen, dass die Tore verrammelt, das Museum und die Schlossküche geschlossen, das Inventar verkauft wird. Wie lange würden die Grünen einen solchen drohenden Zustand dulden? Bis die ersten Fensterscheiben eingeworfen werden? Oder bis das marode Mauerwerk zerbröselt?
Leider wird von der CDU gegenwärtig die Bedeutung der Marienburg extrem überhöht, von „Identitätsstiftung“ ist sogar die Rede. Das führt auf Abwege, denn mit der Identität hat dieser Ort nur bedingt zu tun, die Geschichte der Welfen ist nicht die einer Keimzelle von Fortschritt und Demokratie in Deutschland. Die Pflicht, Burgen und Schlösser zu erhalten und zu pflegen, hängt vielmehr mit der Achtung vor Geschichte und Kultur zusammen. Das ist der Ausdruck von Heimatbewusstsein – von der Aufgabe, die überlieferten Schätze der Vergangenheit zu bewahren und sie den Nachkommen zu erklären. Das betrifft im Übrigen auch die schlimmen Bauten der Geschichte, etwa das Reichsparteitagsgelände der Nazis in Nürnberg. Orte, die einmal bedeutsam waren, müssen geschützt und der Nachwelt präsentiert werden. Bei der Marienburg fällt das nicht einmal besonders schwer, denn das Gebäude kann es schon mit dem Märchenschloss Neu Schwanstein in Bayern aufnehmen. Warum man es bisher nicht so beworben hat? Vermutlich, weil die Niedersachsen anders als die Bayern ihre Bescheidenheit über alles andere stellen.
Vermutlich wäre es das Beste für den Erfolg der Grünen, wenn ihr in der Landespolitik gepflegtes und immer skurriler wirkendes Links-Sektierertum und ihre Distanz zur Kulturpflege möglichst wenigen Menschen auffallen.
Wenn einer breiteren Mehrheit in Niedersachsen bewusst würde, wie die Grünen im niedersächsischen Landtag über die Marienburg denken, dann hätte das vermutlich erhebliche Konsequenzen für deren Popularität. Die Aussagen von Piel und Wenzel sind eigentlich nur so zu verstehen: „Uns ist im Grunde egal, was aus dem Schloss wird. Landesgeld zur Sanierung halten wir für verkehrt. Was könnte man alles mit den 13,6 Millionen Euro finanzieren, die dafür geplant sind?“ Hätte ein Kretschmann in Stuttgart, wenn er je so aufgetreten wäre, auch derart großen Zuspruch der Bevölkerung erfahren? Anders gefragt: Sind die Grünen in Niedersachsen, die mit Vorliebe auf den „Polizeistaat“ schimpfen (am kommenden Sonnabend auf der Großdemonstration wieder) und ein altes Schloss lieber verfallen lassen würden, tatsächlich ein Teil der Partei, die gegenwärtig in bundesweiten Umfragen überaus beliebt ist – vor allem auch in bürgerlichen Kreisen?
Vermutlich wäre es das Beste für den Erfolg der Grünen, wenn ihr in der niedersächsischen Landespolitik gepflegtes und immer skurriler wirkendes Links-Sektierertum und ihre Distanz zur Kulturpflege möglichst wenigen Menschen auffallen.