Die Lehren aus der „Rathausaffäre“
In dieser Woche wird es noch einmal spannend. Mehrere Mitarbeiter der hannoverschen Stadtverwaltung und auch der Landesregierung treten als Zeugen im Landgericht auf. Sie sollen Licht in das Geflecht von Vorgängen, Absprachen und Mitwisserschaften bringen, die um die sogenannte „Rathausaffäre“ kreisen. Wie konnte es passieren, dass über mehr als zwei Jahre hohe Zulagen an den engsten Mitarbeiter des Oberbürgermeisters Stefan Schostok gezahlt wurden, ohne dafür eine Rechtsgrundlage zu haben?
Das Gericht will die Schuld von Schostok, den einstigen Büroleiter Frank Herbert als Empfänger der Zulage und den früheren Personaldezernenten Harald Härke als Anweisenden für die Zahlung ermessen. Die Vernehmungen konzentrieren sich folglich auf die Frage, wer wann was gewusst hat und wer wann wie gehandelt hat.
Davon unabhängig bringt die juristische Aufarbeitung der „Rathausaffäre“ nach bisher drei Verhandlungstagen noch eine andere Erkenntnis: Es war offensichtlich möglich, dass Rechtswidriges in einer großen Behörde geschieht, dies mindestens einer Handvoll Mitarbeitern auch bewusst ist – aber über Monate keine ernsthaften Versuche unternommen werden, den Missstand abzustellen. Wie konnte das passieren? Die Frage setzt bei den drei Angeklagten an, aber auch bei den Mitarbeitern, die von Härke die Anweisung bekamen, das Geld auszuzahlen.
Und im Podcast:
Wollen wir uns nicht mehr die Hände schmutzig machen, Herr Karst?
Da ist zunächst die Sachbearbeiterin N., die das Beamtenrecht auf konkrete Personalfragen anwenden muss. Sie erhielt ihre Aufträge vom Bereichsleiter für Personal und Organisation K., der im direkten Kontakt zu Härke und Herbert stand. Der nach B2 bezahlte Herbert hatte zum Ausgleich dafür, dass er nicht Dezernent nach B7 werden konnte, eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe der Differenz verlangt und sich in dieser Frage an Härke gewandt, der aufgeschlossen reagiert haben soll. Über K. erhielt N. den Auftrag, die Sache zu prüfen. Sie kam recht bald, schon im Januar 2015, zu einem eindeutigen Ergebnis: Zulagen für Mehrarbeit sind für Beamte der B-Besoldung nicht zulässig, das Gesetz sieht diese nicht vor. Das schrieb N. auch in einen Vermerk, und K. gab diesen Vermerk an Härke.
Sachbearbeiterin wäre nie direkt zum Dezernenten oder OB gegangen
Die Dinge entwickelten sich so, dass Härke trotz der rechtlichen Bedenken die Zahlung anwies. Wieder wurde N. im Auftrag von K. aktiv und wiederholte ihre Bedenken in einem neuen Vermerk. K. berichtete, er habe Härke anschließend auch deutlich darauf hingewiesen. Bei diesen Hinweisen ließen beide es bewenden, auch wenn sie untereinander immer wieder klagten und fluchten, die von Härke angewiesene Zahlung sei doch „ungeheuerlich“. N., die sich besonders aufregte, empörte sich gegenüber K., der wohl versuchte, seine Mitarbeiterin zu beruhigen. An eine höhere Stelle ging N. nicht, auch von K. ist nicht überliefert, dass er seinen Protest verstärkt oder intensiviert hätte.
Das System von ausgedruckten E-Mails, auf denen die Vorgesetzten ihre Notizen als Vermerke setzten, funktionierte in der Praxis so: Ein Vorgang ging nach oben, wurde abgezeichnet und mit Anordnungen versehen, dann wieder nach unten, wo die Anweisungen umgesetzt wurden. Wenn es Einwände oder Kritik von Fachleuten auf unterer Ebene gab, wurden diese per Randnotiz auf dem Vermerk festgehalten – oder in einer weiteren Mail konkretisiert.
Wenn N. und K. aus wirklicher tiefer Überzeugung die Stadt vor einem rechtswidrigen Verhalten hätten bewahren wollen, hätten sie eigentlich zusammen zu Härke oder zum OB gehen und dort vehement protestieren müssen. Doch beide verzichteten darauf. N. sagte als Zeugin, ihr als Sachbearbeiterin sei nicht in den Sinn gekommen, direkt zum Dezernenten oder zum Oberbürgermeister zu gehen. Über die Ebene von Vermerken und Aktennotizen kam der Unmut, den N. und wohl auch K. wegen der rechtswidrigen Zahlungen spürten, zwei Jahre lang nicht hinaus. Das Thema schien gefangen in den formalisierten Abläufen, die weitere Eskalationsstufen in einem problematischen Fall gar nicht vorsehen.
Lesen Sie auch:
Rathausaffäre: „Man kann ja nicht einfach als Sachbearbeiterin zum OB gehen“
Rathausaffäre vor Gericht: Ein Angeklagter zeigt sich reumütig, die beiden anderen tun es nicht
Deshalb ist diese Rathausaffäre auch eine Mahnung an die Organisation von Verwaltungen: An wen können – und müssen – sich Mitarbeiter wenden, die in einem laufenden Verfahren ein schlechtes Gewissen bekommen und sehen, dass etwas aus dem Ruder läuft? Hier war offenbar niemand vorhanden. Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, dass bei den regelmäßigen Routine-Besprechungen, zu denen K. mit Härke zusammentraf, die Zulage für Herbert offenkundig so gut wie nie erwähnt wurde – die Sache also ein Non-Thema war, ein Tabu, über das man tunlichst nicht sprach, sondern höchstens im vertrauten Kreis der Untergebenen in der Teeküche tuschelte.
Mehrere Fragen kommen nun hinzu:
Warum hat Härke als Personaldezernent die illegale Zulage angeordnet? Er hat sich vor Gericht für sein Verhalten entschuldigt. Eine Erklärung, warum er so handelte, wäre diese: Allgemein bestand die Ansicht, Herbert wegen seiner hohen Aufgaben besser bezahlen zu wollen. Härke erinnerte sich an die allgemeine Aussage aus dem Innenministerium von 2012, wonach die Stadt relative Freiheit bei der Einstufung des OB-Büroleiters habe. Später, als der Vermerk von N. vorlag, hätte Härke wissen müssen, dass dies im konkreten Fall so nicht erlaubt war. Warum setzte er es dennoch durch?
Im Rathaus, heißt es, habe die Meinung geherrscht, man habe „etwas für Frank Herbert tun müssen“. Außerdem soll die Kommunalaufsicht beim Innenministerium den ursprünglichen Plan der Stadt, Herberts Funktion im neuen Geschäftsverteilungsplan aufzuwerten und damit Mehrkosten von 15.500 Euro zu verursachen (bedingt durch eine Höherstufung von Herbert auf B4 oder B5) abgesegnet haben.
Zwar hat das Ministerium damit nicht explizit ja gesagt zur Stellenanhebung – aber einige im Rathaus interpretierten die zustimmende Aussage der Kommunalaufsicht zu dem Konzept wohl dennoch so. In dieser Gemengelage bewegte sich Härke, der für seinen pragmatischen Stil bekannt ist – und stellte rechtliche Bedenken offenkundig hinten an.
Warum hat der OB sich nicht eingemischt? Die Einlassungen von Stefan Schostok klingen bisher immer so, als habe er sich auch deshalb nicht mit den rechtlichen Problemen der Zulage befasst, weil er meinte, für solche Detailfragen seine Fachleute zu haben. Das kann man interpretieren als den Versuch, sich mit Nichtwissen aus problematischen Situationen befreien zu wollen.
Warum löst der Fall Nervosität bei der Kommunalaufsicht aus? Es gibt Widersprüche zwischen der Aussage von Härke und einer dienstlichen Erklärung des Leiters der Kommunalaufsicht im Innenministerium, Alexander Götz. Härke sagt, er habe in einem anderen Fall einer geplanten Höherstufung, für den damaligen Chef der Feuerwehr Hannover, im Juni 2015 mit Götz telefoniert. Götz habe die Höherstufung abgelehnt, da dies Begehrlichkeiten beim Landesbranddirektor wecken könne.
Auf Härkes Frage, wie man dem hannoverschen Feuerwehrchef dennoch helfen könne, habe Götz von der Möglichkeit einer Zulage gesprochen – die rechtlich gar nicht bestanden habe. Hat das Ministerium also die später als rechtswidrig entlarvte hannöversche Praxis doch frühzeitig abgesegnet?
In einer „dienstlichen Erklärung“ betont Götz, zu keiner Zeit eine solche Aussage getroffen zu haben. Der Widerspruch zwischen Götz und Härke dürfte auch beim Landgericht eine Rolle spielen, der Leiter der Kommunalabteilung ist in dieser Woche als Zeuge geladen.