Die Krise der Grünen
Darum geht es: Die Krise der Grünen geht an der Partei in Niedersachsen vorbei – oder doch nicht? Ein Kommentar von Martin Brüning.
In Niedersachsen ist die grüne Welt noch in Ordnung. In der letzten Umfrage zur Landtagswahl liegen die Grünen bei 14 Prozent und damit sogar leicht über ihrem Wahlergebnis von 2013. Das Problem: Die Umfrage datiert aus dem Januar und damit noch aus der Zeit, bevor sich der #Schulzzug in Bewegung setzte. Schulzzug – so wird in den sozialen Medien der Umfragen-Siegeszug des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz bezeichnet. Seitdem macht man sich nicht nur bei der CDU so seine Gedanken, auch bei den Grünen erodieren die Umfrageergebnisse im Bund und in den Ländern. In Nordrhein-Westfalen, wo im Mai eine Landtagswahl ansteht, stürzte man von elf auf sieben Prozent und musste sich sogar von der FDP abhängen lassen, die dort aktuell bei zehn Prozent liegt. Eine Demütigung für die Grünen. Bei einer Umfrage in Rheinland-Pfalz lagen die Grünen bei einer neuen Umfrage vor wenigen Tagen noch bei sechs Prozent – im Dezember waren es dort noch neun. Und auch im Bund liegen die Grünen laut ZDF-Politbarometer nur noch bei sieben Prozent.
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Die Umfragenkrise der Grünen hat unterschiedliche bundespolitische und regionale Ursachen. So vorbildlich der Mitgliederentscheid auf Bundesebene war, so ernüchternd ist das Ergebnis. Solide sagen die einen, langweilig die anderen. Mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt hat man nun zwei Spitzenkandidaten, die nicht so recht eine Alternative zur politischen Konkurrenz darstellen. Oder anders gesagt: Wer bei Göring-Eckardt sein Kreuz macht, kann politisch gesehen auch gleich Merkel wählen. Hinzu kommt noch die fehlende Machtoption. Schwarz-Grün ist angesichts aktueller Umfragen in weiter Ferne, und für die „R2G“-Variante haben die Grünen nach dem Mitgliederentscheid das falsche Spitzenpersonal.
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Und in Niedersachsen? Die Mitgliederzahlen steigen, auf dem Parteitag in Hannover herrschte im Februar gute Stimmung, und die Wähler in Niedersachsen trauen laut Infratest-dimap-Umfrage in den Themenfeldern Umwelt-, Landwirtschafts- und Energiepolitik keiner anderen Partei eine höhere Kompetenz zu. Die Basis für weitere Erfolge ist also solide. Dennoch zeigen die Probleme der Gesamtpartei, wie volatil diese Basis dann doch sein kann, und es stellt sich die Frage, welchen Weg die Grünen in Niedersachsen in den kommenden Jahren beschreiten wollen.
Die Skepsis gegenüber einem schwarz-grünen Bündnis könnte sich dabei als falscher Weg erweisen. Zwar wird der Realo-Flügel der Partei auf der Kandidatenliste zur Landtagswahl im Vergleich zur Bundestagsliste aller Voraussicht nach wieder eine größere Rolle spielen. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich das linke Lager in der Landespartei durchgesetzt hat. Die Realos sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zu Beginn des Parteitags in Hannover wurde kürzlich an die Entscheidung für Gorleben erinnert mit einem Bild aus den 70er Jahren. Ernst Albrecht als politisches Feindbild im Jahr 2017? Mit den Protest-Pensionären aus dem Wendland oder der linken Herzblut-Politik zum Thema Radikalenerlass repräsentieren die Grünen heute nicht mehr den Kern ihrer Wählerschaft, vielleicht sogar nicht einmal mehr den ihrer Mitglieder. Dieser ist mit der Partei gealtert und inzwischen zum Teil tief verbürgerlicht. Ein Teil der Wähler ist der CDU nicht mehr fern, nicht wenige werden sogar Angela Merkel gewählt haben. Das muss nicht bedeuten, dass die niedersächsischen Grünen zu einer Art „Landlust“-Variante der CDU werden müssen. Aber sie sollten sich fragen, wie sie die Wähler, die die Partei in den vergangenen Jahren begleitet haben, auch mittelfristig an sich binden können.
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