Darum geht es: Die Situation sieht gegenwärtig völlig verfahren aus – die SPD zeigt deutlich Unwillen, zusammen mit der CDU zu regieren. Die FDP sperrt sich immer drastischer gegen ein Ampel-Bündnis, die Grünen stehen womöglich davor, eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen definitiv auszuschließen. Sind Neuwahlen die Lösung? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Gestern war es der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann, der ein wenig gedrängelt hat. Zu viel Zeit, sagte er, solle man bis zu einer Regierungsbildung nun auch nicht verstreichen lassen. Denn die Landesverfassung setze ja Fristen für diesen Fall.

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Formal hat der Herausforderer von Stephan Weil damit Recht, doch in der Sache liegt er daneben. Die gegenwärtige Debatte über die Frage, wer mit wem bereit ist zu reden und wer nicht, ist noch von jener Hektik und Verbalrhetorik geprägt, die für den zurückliegenden Wahlkampf bestimmend gewesen ist. Da ging es um schnelle und klare Antworten – um Lippenbekenntnisse und eilige Positionierungen. Es nur zu menschlich, dass die Akteure nach Monaten des Parteienwettbewerbs so reagieren. Als gestern die Fraktionen von CDU und SPD zu ihren ersten Sitzungen zusammenkamen, spendeten die Mitglieder zum Auftakt auch demonstrativ Applaus für ihre Spitzenleute – immer mit einem prüfenden Blick zu den Fernsehkameras. Sie wollten Geschlossenheit demonstrieren. Auch das belegt: Der Wahlkampf bestimmt immer noch das Verhalten der Politiker. Es geht mehr um Effekte als um Inhalte.

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Deshalb sollte man vielleicht einfach mal zehn Tage abwarten und schauen, dass sich die Gemüter wieder beruhigen und die für Politiker in Wahlkampfzeiten so wichtige Frage, „Wie wirke ich mit dem, was ich tue, nach außen?“, an Bedeutung verliert zugunsten einer anderen, noch wichtigeren Frage: „Was ist jetzt eigentlich für Niedersachsen der beste Weg?“. Klar, die FDP hat die Ampelkoalition noch kurz vor der Wahl vehement ausgeschlossen. Aber die Begründung dafür war, dass man kein Steigbügelhalter für Rot-Grün sein wolle. Die Freien Demokraten können tatsächlich ihr Gesicht wahren, wenn sie glaubwürdig vermitteln können, dass in einem Bündnis mit SPD und Grünen wesentliche FDP-Inhalte durchgesetzt werden können. Dann wären sie kein Steigbügelhalter für irgendjemanden mehr, sondern selbst der Reiter auf dem Pferd. Aber dafür müssten sie mit SPD und Grünen sprechen. Ist es für einen solchen Weg schon zu spät? Keineswegs.

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Wir haben heute erst den dritten Tag nach einer Wahl, noch haben nicht einmal Sondierungen begonnen. Ob SPD und CDU rasch zueinander finden würden, wie viele Beobachter vermuten, darf bezweifelt werden. Der teilweise aggressive und grenzwertige Wahlkampfstil der SPD gegenüber den Christdemokraten hat dort Verletzungen hinterlassen, das ohnehin eher schwache Vertrauensverhältnis ist damit zusätzlich belastet. Ob am Ende CDU, FDP und Grüne vertragseinig werden? Wer die Liste der Grünen-Abgeordneten durchgeht, findet vielleicht noch zwei von zwölf Abgeordneten, die gegenüber einer Kooperation mit der CDU aufgeschlossen wären. Der Rest zählt zum linken Flügel – damit wird Jamaika unwahrscheinlich. Die tatsächlichen, inhaltlichen Hürden zwischen den Landtagsabgeordneten der Grünen und denen der CDU sind viel höher als die Hürde, die von der FDP gegenüber einer Ampelkoalition aufgerichtet wird – denn Stefan Birkners Vorbehalte sind weniger inhaltlicher oder gar ideologischer Natur, sondern mehr seiner tiefsitzenden Angst geschuldet, er könne als „Umfaller“ angeprangert werden.

Diese Verzerrungen und emotionalen Aufwallungen lassen vermuten, dass es diesmal länger dauern wird mit der Regierungsbildung in Niedersachsen. Vielleicht kommen manche Lösungen – etwa die Ampel – am Ende nur unter äußerem Druck zustande, weil sich alle anderen Akteure festgefahren haben und schon die ersten Rufe nach Neuwahlen erklingen. Und wenn das so ist, dann wäre das auch nicht schlimm. Nur eines sollte klar sein: Ernsthaft sind Neuwahlen keine Option. Die Politiker sollten sich wenigstens am Ende zusammenraufen, das kann man von ihnen erwarten. Nur ein bisschen Zeit muss man ihnen schon dafür geben.

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