Die Grünen verbeugen sich vor der SPD
Als „Programmentwurf für die Grünen“ zur Landtagswahl ist ein dicker Katalog angekündigt worden, den die beiden Grünen-Landesvorsitzenden Stefan Körner und Meta Janssen-Kucz gestern vorgestellt haben. Beim Durchlesen fällt jedoch auf: Es ist mehr ein „Programmentwurf für Rot-Grün“, denn das Papier enthält an mehreren Stellen, vorn in der Präambel ganz explizit, ein Bekenntnis zur Fortsetzung der Koalition mit der SPD im Landtag von Hannover. Auf Nachfragen allerdings winden sich Janssen-Kucz und Körner mehrfach. „Wir führen jetzt keine Koalitionsdebatte“, sagen sie, reden von einem „linksliberalen Entwurf“ und schwadronieren darüber, dass man ja „eine Vorahnung haben kann, mit wem wir die größten Gemeinsamkeiten haben – nämlich mit der SPD“. Ein klares Nein also zu Schwarz-Grün? „Wir erteilen keinerlei Absage an irgendjemanden“, meint Körner, und Janssen-Kucz bescheinigt der FDP, sie wolle die von den Grünen verlangte Agrarwende „bekämpfen“. Im Text des Programmentwurfs heißt es: „Rot-Grün hat sich als Erfolgsmodell für Niedersachsen erwiesen. Wir wollen die gute Arbeit dieser Regierung fortsetzen und weiterentwickeln. Aber Rot-Grün gibt es auch zukünftig nur mit starken Grünen.“
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Dass es sich mehr um einen rot-grünen denn um einen grünen Programmentwurf handelt, wird nicht nur an diesem Koalitionsbekenntnis deutlich. Auch die Inhalte drücken das aus – besser gesagt: die fehlenden Inhalte. Früher zeichneten sich Grüne damit aus, irgendeine Forderung so zuzuspitzen, dass sie Gesprächsthema werden – ob der Ruf nach einem Benzinpreis von fünf Mark pro Liter oder die Forderung nach einem verpflichtenden fleischfreien Tag in den Kantinen. Der aktuelle Entwurf eines Landtagswahlprogramms verzichtet jedoch auf derlei Dramatik, er wirkt weichgespült – und das ist womöglich ein Ergebnis der aktuellen bundesweiten Sinnkrise der Grünen, die sich in schwächelnden Umfragewerten widerspiegelt (in einer bundesweiten Umfrage von gestern haben sie gerade mal noch 6 Prozent). Da will man keineswegs anecken, denn das könnte sonst für die Mitbewerber Munition im Bundestagswahlkampf sein.
Ein klares Nein zu neuen Autobahnen? Nur indirekt wird das erwähnt, indem es heißt, die vorhandene Infrastruktur müsse „im Vordergrund stehen“. Das Aus für Verbrennungsmotoren ab 2030? Dieses bekannte Ziel wird zwar aufgenommen, aber in einem hinteren Kapitel nur eher beiläufig genannt. Absage am Tierversuche? Im Papier heißt es, der Tierschutz müsse „stärkeres Gewicht haben“, solange Tierversuche noch notwendig seien. Die Verbandsklage für Umweltverbände, so liest man dort außerdem, soll ausgeweitet werden. Eine Kennzeichnungspflicht für alle Polizisten? Dieser Ladenhüter der Grünen-Programmatik wird wieder zitiert, allerdings nur in einer Aufzählung und auch nicht an vorderer Stelle. Die Grünen hatten das in den derzeit gültigen Koalitionsvertrag schreiben lassen – doch durchsetzen konnten sie es bei der SPD bislang nicht. Die einstigen Rufe nach Abschaffung des Verfassungsschutzes erklingen im neuen Programmentwurf nicht mehr – im Gegenteil, die Grünen bekennen sich jetzt zur „angemessenen Ausstattung der Sicherheitsbehörden“. Und die Forderung nach mehr direkter Demokratie, auch ein Klassiker dieser Partei, bleibt nur recht allgemein als Willenserklärung. Eine Abgrenzung von Finanzierungsmodellen, bei denen Staat und Privatinvestoren kooperieren? Nur für den Straßenbau lehnen die Grünen diese ÖPP-Projekte im Entwurf strikt ab, ansonsten ist nur von einer „kritischen Einstellung“ die Rede.
Das Signal ist klar: Die Grünen beziehen Positionen, bleiben dabei aber mild. Niemand wird sagen können, die Phantasie wäre mit dieser Partei durchgegangen und sie habe dabei ihre Bündnisfähigkeit eingebüßt. Niemand – also auch nicht der Wunsch-Partner, die Sozialdemokraten. Und Körners Ansage, hier liege ein „linksliberaler Entwurf“ vor, markiert ein mögliches neues Wunschziel dieser Partei. Wollen sie künftig die Bürgerrechtspartei sein, vielleicht ein bisschen so etwas wie eine linke Alternative zur FDP?
Man könnte das annehmen, wenn nicht der Landesvorstand einen großen Wunsch klar zu erkennen gegeben hätte: Ein Leib- und Magenthema der Grünen soll prägend sein für diesen Wahlkampf, und es ist nicht der – sichtbar an Mobilisierungskraft eingebüßte – Anti-Atom-Kampf. Vielmehr wollen Janssen-Kucz und Körner die Agrarwende in den Vordergrund rücken, in Verbindung mit mehr Tierschutz, weniger Massentierhaltung, weniger Chemie im Pflanzenschutz, gesunder Ernährung und schützenswerter Natur. Die Landesvorsitzende preist die Zustände: „Bei Bioeiern, Bioobst und Biokartoffeln sind wir schon führend in Niedersachsen, vielleicht bald auch bei Biomilch.“ Es steht also ein Bio-Wahlkampf bevor – mit klarer rot-grüner Präferenz. (kw)