Die Grenzen der Forschung
Darum geht es: Seit dem Ausbruch der Vogelgrippe mussten allein in Niedersachsen mehr als 230.000 Tiere getötet werden. Ein Kommentar von Martin Brüning.
In Japan wurden schon mehr als eine Million Hühner getötet, in Südkorea sollen nach Angaben der Regierung sogar 26 Millionen Hühner und anderes Geflügel getötet werden, in Polen sind es bisher eine halbe Million Tiere, und auch Tschechien hat die Vogelgrippe nun offenbar auch erreicht. Dort wurde die Viruserkrankung sowohl bei Schwänen als auch in zwei kleineren Geflügelbetrieben im Süden des Landes nachgewiesen. Inzwischen sind deutlich mehr als 20 Länder von der Vogelgrippe betroffen.
Frappierend ist nicht nur die erneut weltumspannende und rasend schnelle Verbreitung der Tierseuche, sondern auch das immer noch recht große Unwissen über die Krankheit. Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung ein Forschungsprogramm im Umfang von 60 Millionen Euro auf den Weg gebracht, um die Forschung in Wissenschaft und Industrie sowie von Tier- und Humanmedizin zu vernetzen. „Networking“ liegt seit Jahren im Trend, schafft aber alleine keine Ergebnisse. Und so gibt es auch derzeit mehr Fragen als Antworten.
Es war ehrlich von Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer, in Bezug auf die Eindämmung der Vogelgrippe „ein Stück weit Ratlosigkeit“ einzugestehen. Niemand weiß so genau, wie das H5N8-Virus in die gesicherten Ställe eindringen konnte. Wo es aber mehr Fragen als Antworten gibt, entstehen automatisch Mutmaßungen außerhalb der üblichen, schnellen Erklärungsmuster. So stellt nicht nur der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf die Erklärung in Frage, nach der Enten und Gänse das Virus aus Asien nach Europa bringen. Reichholf fragte kürzlich in der „Welt“, ob nicht der umgekehrte Übertragungsweg plausibler wäre – ob also die Wildvögel überhaupt erst durch die Massenhaltungen infiziert werden. Schließlich habe es auf dem Flugweg von Wasservögeln aus Zentralasien nach Europa offenbar kaum tote Enten gegeben. „Doch den ‚Wildvögeln‘ die Übertragung des Virus anzulasten, eignet sich bestens zur Ablenkung von möglichen anderen Ursachen“, schreibt Reichholf.
Auch die UN-Task Force „Vogelgrippe und Wildvögel“ warnt davor, Ursachen für die schnelle Verbreitung der Krankheit einseitig beim Vogelzug zu suchen und damit den weltumspannenden Geflügelhandel zu vernachlässigen. Und der Nabu fordert Bund und Länder auf, die Suche nach den hauptsächlichen Übertragungswegen dringend auch auf die Transporte und Stoffströme der Geflügelindustrie auszudehnen. Überzeugende Beweise für Zugvögel als „Schuldige” fehlten weiterhin, heißt es seitens der Naturschützer.
Das Virus, das auch im neuen Jahr weiter Grenzen überwindet, zeigt der Forschung ihre Grenzen auf. Vielleicht liegt es nicht allein an den schnellen Mutationen von Viren, die der Wissenschaft dadurch häufig einen Schritt voraus sind. Vielleicht muss sich auch die Forschung breiter aufstellen und die grundsätzlichen Fragen zur Verbreitung des Virus noch einmal neu formulieren.