Die geleugnete Kompromissfähigkeit
Darum geht es: Der Landtag hat vergangene Woche heftig diskutiert, man spürte allenthalben den Kommunalwahlkampf. Doch stehen sich die Lager wirklich so unversöhnlich gegenüber, wie gern behauptet wird? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Der Innenminister, sagt Jens Nacke von der CDU, sei „ein Sicherheitsrisiko“. Das war am vergangenen Mittwoch, zum Abschluss einer donnernden Landtagsrede zur inneren Sicherheit. Einen Tag später steht Innenminister Boris Pistorius (SPD) am selben Rednerpult, und er wirkt genervt: „Jetzt rede ich – und Sie hören zu“, brummt er in Richtung eines Zwischenrufers aus der CDU. Die SPD klatscht kräftig, sie weiß um die rhetorischen Qualitäten des Ministers. Zwei Episoden, eine Botschaft: In drei Wochen sind Kommunalwahlen, die Landtagsabgeordneten in Hannover sind Wahlkampfmodus – sie grenzen sich von ihren politischen Mitbewerbern ab, sind weniger geschmeidig, weniger kompromissbereit, dafür aber eine Spur polemischer als sonst. Mancher mag denken, dass sich die Gräben, die zwischen den Lagern bestehen, wieder einmal vertieft hätten.
Doch das ist nur die Oberfläche. Seit Monaten wird immer wieder darüber berichtet, wie schlecht SPD und Grüne auf der einen, CDU und FDP auf der anderen Seite miteinander auskommen. Dass notwendiges Vertrauen fehle und Absprachen auf Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen nicht möglich seien. Von einem „vergifteten Klima“ ist die Rede. Doch die zurückliegende Plenarwoche hat solche Einschätzungen auch Lügen gestraft. Die verbalen Attacken mögen ja noch etwas unversöhnlicher geworden sein. Dahinter aber wird eine ganz neue Kompromissfähigkeit spürbar. Im Untersuchungsausschuss zur islamistischen Gefahr haben beide Seiten eine Verständigung über Abläufe und Verfahren erreicht. Noch vor Wochen wäre das undenkbar gewesen. Der aufkeimende Streit über die Frage, ob der Landtagspräsident von der CDU vor dem Staatsgerichtshof die rot-grüne Erwiderung auf eine CDU-Klage vortragen soll, ist gar nicht erst hochgekocht – weil beide Seiten vorher das Thema friedlich beilegten. Als dann am Donnerstag im Verfassungsschutzausschuss ein Vertreter des Justizministeriums die Auskünfte gegenüber dem Landtag verweigern wollte, schimmerte eine ganz neue Gefechtslage durch: Hier alle Fraktionen des Parlaments, dort die unbewegliche Ministerialbürokratie.
Vielleicht kündigt sich da schon eine allmähliche Auflösung der Lager an. Sollte die AfD in den nächsten Landtag kommen und die Linke womöglich auch, so wäre damit sowieso die klassische Frage obsolet – regiert Schwarz-Gelb oder Rot-Grün? Womöglich ist dann eine Dreierkonstellation notwendig, womöglich auch eine Große Koalition. Je näher die Wahlen rücken, desto mehr merken die Abgeordneten, dass die heutigen Gegner morgen als Partner gebraucht werden könnten. Offiziell zugeben dürfen sie das natürlich nicht, offiziell müssen sie aufeinander dreinschlagen. Denn was würde geschehen, wenn plötzlich die CDU offiziell einen sozialdemokratischen Minister lobt oder ein Grüner die Vorschläge von der FDP gutheißt? Dann könnte das ein erster Schritt sein, bisher zugedeckte Risse deutlich zu machen – etwa zwischen der SPD und den Grünen um Agrarminister Christian Meyer, oder auch zwischen der FDP und denen in der CDU, die den Islamvertrag auf keinen Fall wollen. Solche Risse in den Lagern aber bedeuten Unsicherheit, und die kann man vor der Landtagswahl in anderthalb Jahren nicht gebrauchen.