Es kommt selten vor, dass Politiker mit besonderen Gesten im Parlament auftreten. Für den gestrigen Donnerstag allerdings hatten sich die weiblichen Abgeordneten der SPD-Landtagsfraktion, 19 an der Zahl, zu einer demonstrativen Tat verabredet. Sie erschienen allesamt in weißer Bluse oder mit weißer Jacke – ein Akt der Verbeugung, wie die Fraktionsvorsitzende Johanne Modder wenig später am Mikrophon erläuterte.

SPD-Fraktionschefin Johanne Modder am Rednerpult – natürlich mit weißer Bluse

Ziemlich genau 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland wolle man in der Kleidung auftreten, in der damals die sozialdemokratischen Frauen in der Weimarer Nationalversammlung für mehr Gleichberechtigung gestritten hatten. „Wir zeigen sichtbar Dankbarkeit und Respekt“, betonte Modder. Sie warb anschließend vehement dafür, die Wahlrechtsregeln so zu verändern, dass der Frauenanteil im Landtag (derzeit bescheidene 27 Prozent) und in den Kommunalvertretungen erhöht wird. „Ganz ehrlich: Ich habe auch keine Lust mehr, noch weitere zig Jahre darauf zu warten oder vertröstet zu werden, dass sich eventuell auf freiwilliger Basis etwas zu Gunsten der Frauen entwickelt“, fügte die SPD-Fraktionschefin hinzu. Kräftiger Applaus war ihr dafür sicher – nicht nur aus der eigenen SPD, auch von den Grünen, von Teilen der CDU und von Teilen der FDP.

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Wie schwierig das alles wird, ließ Modder indes nicht unerwähnt. In Frankreich, wo ein Paritätsgesetz schon gilt und recht holprig eingeführt wird, prägt das Mehrheitswahlrecht die Verhältnisse – in Deutschland ist es komplizierter, hier gibt es eine Kombination aus Listen- und Wahlkreismandaten. Nun könnte man die Quote (abwechselnd Frau und Mann auf der Liste), die SPD, Grüne und Linke für sich selbst schon festgelegt haben, gesetzlich vorgeben. Allerdings hieße das, den Parteien Vorschriften für ihre Kandidatenauslese zu machen, was einem Eingriff in ihre im Grundgesetz garantierte freie Willensbildung gleichkäme.

Was die Direktmandate angeht, böte sich auch ein Weg an: Man könnte die Wahlkreiszahl halbieren und ihre Fläche verdoppeln, dann aber jede Partei zwingen, zwei Kandidaten – Mann und Frau – aufzustellen. Am Ende würde jeder Wahlkreis durch zwei Personen vertreten. Nur: Der Zuschnitt dieser neuen Wahlkreise ist ein langwieriger Kraftakt und überaus konfliktbeladen. „Wie schwer Wahlkreisreformen sind, wissen wir doch zu genau. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind ernst zu nehmen und die Vorbereitung wird Zeit brauchen. Das schreckt uns aber auch nicht ab“, betonte Modder und zitierte gleich drei CDU-Frauen, die ähnlich konsequent für eine Parität in Parlamenten streiten – Angela Merkel, Rita Süssmuth und Annegret Kramp-Karrenbauer.

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In anderen Fraktionen wird das höchst unterschiedlich beurteilt. Hatte sich CDU-Generalsekretär Kai Seefried kürzlich noch ablehnend gegenüber einem Paritätsgesetz geäußert, signalisierte jetzt im Landtag CDU-Fraktionsvize Mareike Wulf ihre Kompromissbereitschaft: So wichtig es sei, mehr Frauen für die Politik zu begeistern, so schwierig sei es andererseits, den Parteien ihr Recht auf freie Kandidatenauswahl einzuschränken. „Wenn man das machen wollte, bräuchte man hohe Hürden.“ Sie werbe für intensive Gespräche über Wahlrechtsänderungen.

Afd-Fraktionschefin nennt Quote „beleidigend“

Imke Byl (Grüne) hielt der SPD dagegen vor, „zu spät“ zu kommen – die Sozialdemokraten hätten das in den Koalitionsvertrag mit der CDU schreiben sollen, damit in dieser Wahlperiode bereits etwas geschieht. Das sei aber sträflich vernachlässigt worden. Sylvia Bruns (FDP) hält indes nichts von einem Paritätsgesetz. „Bevor wir über solche Schritte nachdenken, sollten wir die Politik familiengerechter und damit für Frauen attraktiver gestalten“, sagte sie und empfahl weniger Abendsitzungen und Wochenendtermine, außerdem sollten junge Mütter das Recht erhalten, ihre Babys mit zu den politischen Sitzungen zu nehmen und dort auch zu stillen.

Lebhaft wurde die von der SPD angeschobene aktuelle Debatte über das Paritätsgesetz, als sich die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth zu Wort meldete. Sie nennt eine gesetzliche Quote für Parlamentskandidaturen „beleidigend für Frauen und diskriminierend für Männer“. Es komme ja auch niemand auf die Idee, eine Quote für Müllwerker, Schlachthofmitarbeiter und Bauarbeiter vorzuschreiben.

https://twitter.com/AndreaNahlesSPD/status/1085835736941703169

Die Vorstellung, dass das Geschlecht keinen biologischen, sondern nur einen gesellschaftlichen Unterschied markiere, passe zu einigen anderen Merkwürdigkeiten in der Gesellschaft – den etwa 220 Gender-Professuren in der Bundesrepublik oder jüngst den Entscheidungen in der hannoverschen Stadtverwaltung, alle männlichen Begriffe zu tilgen und statt „Rednerpult“ nur noch „Redepult“ zu schreiben. „Nonsens darf man das ja nicht nennen“, sagte Guth ironisch – und fügte hinzu, dass doch der gegenwärtige Frauen-Anteil im Landtag etwa dem Anteil der Frauen in der Mitgliedschaft der im Parlament vertretenen Parteien entspreche, also durchaus repräsentativ sei. „Schaffen Sie eine Quote, dann nehmen Sie damit jeder Frau die Anerkennung, weil damit unterstellt wird, sie sei wegen ihrer Eierstöcke und nicht wegen ihrer Kompetenz in den Landtag gewählt worden.“

Als Guth sprach, wurde es im Landtag unruhig, viele Zwischenrufe ertönten. Landtagspräsidentin Gabriele Andretta forderte daraufhin: „Ich bitte um Ruhe, alle sollten diese Haltung auch dann respektieren, wenn sie sie nicht teilen.“ (kw)