Soll ein Castor-Transport quer durch die Republik stattfinden? Oder passt das nicht in diese Zeit? Diese Frage hat in der vergangenen Woche zu einer Auseinandersetzung zwischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geführt. Geplant ist der Transport vom britischen Sellafield über Nordenham ins Zwischenlager am Atomkraftwerk im hessischen Biblis. Damit würde Niedersachsen nur internationale Abmachungen erfüllen.

Die Frage ist nun, ob der Zeitpunkt überhaupt angemessen sein kann. Dass nun Pistorius und Seehofer darüber in einen Konflikt geraten, spricht für eine Politisierung des Themas im Vorfeld der Bundestagswahl, die voraussichtlich am 26. September 2021 stattfinden wird.

Wo liegen nun die Argumente der beiden Seiten?

Die Befürworter des Transportes betonen, dass Deutschland seine internationalen Abmachungen erfüllen müsse. Das gelte gerade jetzt, während der EU-Ratspräsidentschaft. Niemand könne Verständnis dafür haben, dass interne Bedenken wegen der zugespitzten Situation in vergangenen Castor-Transporten nun zu einer Absage solcher Vorhaben führe. In einem Schreiben des Bundesumweltministeriums heißt es, die Bundesregierung verfolge das Ziel „einer zeitnahen vollständigen Erfüllung der Verpflichtung zur Rückführung der radioaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente.“ Im Frühjahr war der Transport aus Sicht der Bundesregierung nur deshalb kurzfristig vertagt worden, weil seinerzeit die Corona-Schutzmaßnahmen noch nicht erprobt und getestet gewesen seien. Inzwischen aber wisse man viel mehr darüber und könne den entsprechenden Gesundheitsschutz der Mitarbeiter und Polizisten, die den Castor-Transport begleiten, sicherstellen.

Die Kritiker des Transportes erklären, wie etwa Pistorius, dass die Route des Transports durch mehrere Landkreise führe, die heute schon hohe Corona-Inzidenzwerte aufweisen. Das bedeute, dass dort eigentlich Menschenansammlungen untersagt seien – ein Castor-Transport aber zumindest eine große Gruppe an Sicherheitspersonal erfordere. Der Bundestagsabgeordnete Victor Perli (Linke) sagte, man könne nicht einerseits von den Menschen eine Kontaktvermeidung erwarten, auf der anderen Seite dann aber 6000 Polizisten zur Begleitung eines solchen Transportes mobilisieren.

Was keine Seite erwähnt, ist die spannende Frage, weshalb ein solcher Transport problematisch werden könnte. Die vielen Polizisten, die zur Begleitung nötig sind, können sich sicher mit Masken und Helmen gut schützen. Sie arbeiten unter strenger Anleitung und haben auf jeden Fall Auflagen zu erfüllen. Ihr Gesundheitsschutz dürfte nicht das Problem werden. Die Frage ist vielmehr, welche Proteste ein solcher Castor-Transport bei radikalen Atomkraftgegnern und bei ihren Trittbrettfahrern, den Mitgliedern der autonomen Szene, in Gang setzen wird. Kommt es, wie es vor vielen Jahren bei verschiedenen Castor-Transporten ins Zwischenlager Gorleben der Fall war, zu dem Versuch radikaler Gruppen, regelrechte Straßenkämpfe anzuzetteln, die Polizei herauszufordern und das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen? Wenn das so wäre, dann wären zum einen mehr Polizisten zum Schutz des Castor-Transports nötig, Zum anderen würden dann auch größere Menschenansammlungen bei den Demonstranten zu erwarten sein, die Einhaltung von Schutzvorschriften und Mindestabständen wäre fraglich. Dass manche diesen Verlauf offenbar erwarten, zeigt nun aber auch, wie unkalkulierbar die linksextremen Kräfte, die solche Castor-Transporte in der Vergangenheit wiederholt begleitet haben, nach wie vor sind.

Die Debatte ist auch deshalb spannend, weil das wirkliche Problem von vielen, die sich daran beteiligen, bisher nicht offen angesprochen wird. Für die Redaktion des Politikjournals Rundblick ist das Grund genug, diese Auseinandersetzung mit dem Titel „Die Debatte der Woche“ auszuzeichnen.