Die Bürgermeister entdecken ihre grüne Seite
Seit vielen Jahren laufen die Hauptversammlungen des Niedersächsischen Städtetages (NST) immer nach demselben Muster ab: Am ersten Tag ist man unter sich, am zweiten kommen dann die großen öffentlichen Reden. Alles läuft meist generalstabsmäßig ab, haargenau nach einem vorher ausgetüftelten Regieplan, ohne große Debatten. Diesmal war es anders, viel lebhafter als erwartet.
Die Oberbürgermeister und Bürgermeister, Kämmerer, Dezernenten und kommunalen Fraktionschefs waren in Lüneburg zusammengekommen, im neuen und höchst umstrittenen Zentralgebäude der Leuphana-Universität. So spitz die Ecken in diesem vom New Yorker Architekten Daniel Libeskind geschaffenen Bau sind, so unerwartet kantig verliefen hier nun die Debatten – jedenfalls in dem Teil, der hinter verschlossenen Türen geschah.
Die Führung des NST hatte ein Papier zum Klimaschutz vorgelegt, und nach der jahrzehntelangen Tradition wäre es eigentlich ohne Änderungen beschlossen worden. Doch weit gefehlt. Die Gruppe der Grünen-Mitglieder unter den rund 400 Teilnehmern, es sind etwa 20, begehrte auf und verlangte Ergänzungen.
Es wurde heftig diskutiert – und am Ende sah sich NST-Präsident und Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge genötigt, seine später vorgetragenen Formulierungen noch etwas nachzuschärfen. „Die Zeit, in der die Vorlagen des Vorstandes diskussionslos abgenickt worden sind, ist wohl endgültig vorbei“, sagt ein Teilnehmer. Andere sagen, Mädge selbst sei gar nicht unglücklich über diese Öko-Bewegung in seinem eigenen Verband.
Klimaneutrale Verwaltung ab 2050
So bietet der NST-Präsident am zweiten Tag, in seiner großen öffentlichen Rede, der Landesregierung und dem Landtag einen „Klimapakt“ an – eine enge vertrauensvolle Zusammenarbeit in guter Kooperation. Der NST verpflichtet sich zu wichtigen Zielen: In den Städten sollen mehr Flächen begrünt werden, es sollen auch Bäume gepflanzt werden – von „Kommunalwald“ ist gar die Rede. Auf den Dächern soll Gras wachsen, der öffentliche Personen-Nahverkehr soll ausgebaut werden, die Rolle des Autos soll Schritt für Schritt kleiner werden.
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Carsharing-Angebote sollen ausgebaut werden, die Fuhrparke der Stadtverwaltungen und städtischen Betriebe sollen auf Elektro- oder Wasserstoffantrieb umgestellt werden. Die Schadstoffbelastung könne so zielstrebig vermindert werden. Eine „klimaneutrale Verwaltung“, die den Ausstoß von Kohlendioxid drastisch vermindert, wird in dem NST-Beschluss für das Jahr 2050 angepeilt. Ein sehr viel kürzerer Zeithorizont betrifft die Aussage, alle Öl- und Kohleheizungen in den kommunalen Gebäuden zu ersetzen – durch Blockheizkraftwerke oder Nah- und Fernwärmesysteme, auf jeden Fall durch klimafreundliche Alternativen. Dies soll schon bis zum Jahr 2025 passieren, also in den nächsten sechs Jahren.
Im Ursprungpapier war hier noch von 2030 die Rede gewesen. Nun kommt also mehr Zeitdruck in die Forderung. Noch eine andere Zuspitzung wird nachträglich aufgenommen – der Bund solle die Technologie der Brennstoffzelle für die Lastwagen stärker fördern. Dass der Städtetag im Vorwort seines Papiers die „Fridays for Future“-Bewegung ausdrücklich „unterstützt“, löste in der internen Runde ebenfalls eine Diskussion aus, wurde aber mehrheitlich beschlossen.
Paketdienste sollen nicht die Altstadt verstopfen
Der „Klimapakt“, den Mädge öffentlich erläuterte, stand jedoch schon im Ursprungspapier: Der Städtetag erwarte vom Land besondere Hilfe beim Ausbau des Radwegenetzes. Wenn das Land den Kommunen je Einwohner und Jahr zehn Euro bereitstelle, könnten die Städte und Gemeinden das Gleiche tun – so könnten im Jahr 160 Millionen zusammengetragen werden, und damit ließen sich viele neue Radwege bauen. Der Städtetag wünscht sich eine deutliche Vergünstigung der Tickets für Bahnen und Busse, mit Jobtickets sollten die Bediensteten der kommunalen Verwaltungen animiert werden, auf den ÖPNV umzusteigen.
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Der Städtetagspräsident fügt noch einen Punkt hinzu: Die Paketdienste sollten gesetzlich verpflichtet werden, ihre Lieferungen nicht bis zur jeweiligen Haustür zu bringen. Vielmehr müssten sie angehalten werden, Depots an den Stadträndern anzusteuern, die dann ihrerseits die weitere Verteilung gewährleisten: „Dann hätten wir anstelle von fünf verschiedenen Diensten, die den ganzen Tag die engen Straßen in der Altstadt verstopfen, nur noch einen einzigen, der diese Aufgabe übernimmt“, erklärt Mädge. Von den Wegweisungen der Bundesregierung im Klimaschutz hält der Lüneburger OB indes nicht viel, wie er offen einräumte: „Das war nicht sehr eindrucksvoll.“
Gegenwärtig, meint Mädge, sei Klimaschutz „noch ein Thema der Eliten“, und man müsse aufpassen, dass man sich nicht von den einfachen Menschen abkoppele. In Niedersachsen seien es die Beschäftigten in der Autoindustrie, die Zulieferer, die Maschinenbauer und andere die Pendler, die man nicht überfordern dürfe. Dass die Kommunen in den Beschlüssen der Bundesregierung und in den Forderungen vieler Parteien nun vor allem genötigt werden sollten, Berichte zu verfassen und fortzuschreiben, stimme den Städtetag nicht zufrieden. „Wir wollen keine neue Statistik, wir wollen etwas bewegen.“
Gute-Kita-Gesetz: Land reicht 30 Millionen Euro an Kommunen weiter
Ministerpräsident Stephan Weil und Landtagsvizepräsident Bernd Busemann, die als Vertreter von Landesregierung und Parlament sprachen, reagierten nur knapp auf Mädges Angebot eines „Klima-Paktes“. Der Regierungschef beschränkte sich darauf, ein allgemeines Ziel als Vision zu formulieren: 2030 oder 2050 solle Niedersachsen in der Bundesrepublik „das Klimaschutzland Nummer eins“ sein.
Bis dann müsse man gezeigt haben, dass es gelungen ist, die Autoproduktion in Wolfsburg, Salzgitter, Emden, Braunschweig und Hannover sozialverträglich auf neue Antriebsformen umzustellen – und das noch mit einer umweltfreundlich erzeugten Energie. Freundlicher Beifall ertönte dazu im Saal der Bürgermeister und anderen Kommunalvertreter.
Was Weil tatsächlich im Gepäck hatte zur Städteversammlung, betrifft einen anderen politischen Dauerbrenner: Die Finanzierung der Kindergärten und Krippen teilt die Gemüter. Mädge erläuterte, allein die 60 Bürgermeister, die sich in einer NST-Umfrage geäußert hatten, bräuchten 490 neue Krippen und 360 Kindergärten in den kommenden fünf Jahren.
Die Zahl der Kinder, die hier untergebracht werden müssten, steige auch deshalb, weil nach Einführung der Beitragsfreiheit die Bedürfnisse der Eltern gewachsen seien. Für die Krippen stünden vom Land landesweit aber nur 40 Millionen Euro bereit, 88 Millionen seien nötig, für die Kindergärten 20 Millionen, während 65 Millionen erforderlich seien. Hinzu komme der wachsende Personalbedarf – man warte noch immer auf ein Konzept des Kultusministeriums zur Verkürzung und Reform der Erzieherausbildung.
In einem Punkt nun bewegt sich die Landesregierung. Weil erklärte, dass von den 47 Millionen Euro, die noch aus dem Gute-Kita-Gesetz des Bundes übrig seien und die eigentlich erst in einigen Jahren ausgegeben werden sollten, jetzt schon 30 Millionen an die Kommunen gegeben werden sollen.
Das Land will Investitionen unterstützen. 17 Millionen sollen in ein Zusatzprogramm für Berufsschullehrer fließen, die Erzieher ausbilden sollen. Der Applaus, den der Regierungschef für diese Mitteilung in Lüneburg erhielt, war durchaus ordentlich. (kw)