Darum geht es: Der Landtag soll nächsten Mittwoch die Reform des Großraumverbandes Braunschweig beschließen – und eine Direktwahl der Verbandsversammlung einführen. Damit wird der notwendige Weg zu einer Gebietsreform in Niedersachsen blockiert, meint Klaus Wallbaum.

Der Großraumverband Braunschweig, bisher eine landesweit eher unauffällige Dachorganisation für drei Großstädte und fünf Landkreise im Osten Niedersachsens, soll kräftig aufgewertet werden. Nächste Woche wird im Landtag die Reform beschlossen, und ihr Kernstück ist die Direktwahl der Verbandsversammlung, die für das Jahr 2021 angepeilt wird. Zwar erhält der Zweckverband kaum neue Aufgaben, aber dafür ein neues Image: Er soll eine kräftige Stimme für die Braunschweiger sein.

Hinter vorgehaltener Hand sagen selbst einige Befürworter dieser Reform, dass Niedersachsen eigentlich keine vierte Ebene mit direkt gewählter Vertretung braucht: Neben dem Land ganz oben, danach den Kreisen und darunter den Gemeinden (teilweise mit Samtgemeinden bespickt) noch einen Großraum, der sich zwischen diese vorhandenen Strukturen zwängt. Viele Gremien und Ebenen, die alle mitreden wollen. Was Niedersachsen eigentlich nötig hat, ist ein Neuzuschnitt der Gebietsgrenzen, gerade im engen Braunschweiger Raum – dort gibt es die kreisfreien Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg neben den teilweise recht kleinen Kreisen Wolfenbüttel, Helmstedt, Peine, Gifhorn und Goslar. Jeder Kreis hat eigene Gemeinden. Der Zustand kann als „übermöbliert“ beschrieben werden. Schon seit Jahren wird über größere Einheiten gestritten, bisher stets ohne Erfolg. Nun sagen manche von denen, die die direkt gewählte Großraum-Verbandsversammlung einführen, dies könne ein Initialzünder sein für die eigentliche, bisher nie angepackte Reform: Erst der gestärkte Großraum, später dann ein Aufgehen der Kreise und kreisfreien Städte in einer mächtigen „Region Braunschweig“.

Der Gedanke klingt zukunftsweisend – doch er ist akademisch und fern der Realitäten. Was wird passieren, wenn der „gestärkte“ Großraum mit seinem neuen Selbstbewusstsein auftritt? Da im neuen Gesetz die Aufgaben zwischen dem Großraum und den ihm untergeordneten Kommunen nicht klar abgegrenzt sind, drohen Dauerkonflikte: Starke Kräfte im Großraum wollen Dinge planen, gestalten und bewegen, starke Kräfte in den Kreisen und Städten sperren sich gegen Mitsprachewünsche der Verbandsversammlung. Dies fördert nicht das Miteinander in der Region, sondern verstärkt gegenseitige Vorbehalte. Das Konfliktpotenzial wird noch größer, wenn von 2021 an die Mitglieder der Verbandsversammlung direkt vom Volk gewählt werden – sich also quasi von den Bürgern beauftragt sehen, noch entschiedener aufzutreten. Wie unter diesen Umständen die Landkreise und kreisfreien Städte harmonisch in eine neue Region aufgehen können sollen, scheint schwer vorstellbar.

Das gilt umso mehr, als die Richtung einer möglichen Gebietsreform im Braunschweiger Land überhaupt noch nicht vorgezeichnet ist. Die Landesregierung, deren Aufgabe es wäre, ein Leitbild für die Zukunft zu entwickeln, hält sich strikt aus der Debatte raus, sie meidet das Thema wie der Teufel das Weihwasser. Das unterscheidet sie im Übrigen nicht von ihren Vorgängerregierungen. In der Stadt Braunschweig selbst gibt es starke Anhänger einer Großregion, die einen Mega-Landkreis aus den bisher drei kreisfreien Städten und fünf Landkreisen befürworten. Der frühere Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) zählt dazu, auch der frühere Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD). Manchmal scheint es, als geht es vielen Befürwortern vor allem darum, die Vision des Braunschweiger Landes wiederzubeleben, durchaus in bewusster Abgrenzung zu dem dort als bedrohlich stark empfundenen Hannover. Regional-Patriotismus überlagert also eine ausgewogene, vernünftig geplante Verwaltungsneugliederung. Einige Akteure wirken in der aktuellen Debatte außerdem verkrampft und radikalisiert, sie senden nicht das in solchen Debatten generell nötige Signal von Kompromissfähigkeit und Konsensbereitschaft aus.

Aber was ist mit denen, die endlich die seit vielen Jahren verschleppte Gebietsreform wollen – nur nicht die riesige Region Braunschweig? Es wären doch etwa drei Kreise denkbar: Helmstedt-Wolfsburg-Gifhorn, Peine-Braunschweig-Wolfenbüttel und Goslar-Salzgitter. Der Vorteil wäre, dass in allen Kreisen die Entfernungen zum Sitz des Landrates nicht zu groß wären, es gäbe noch den Bezug der Kreisverwaltung zu den Bürgern, Vereinen und Verbänden. Auch andere Varianten wären denkbar, etwa ein Kreis Peine-Hildesheim, für den es ja durchaus ernste Ansätze gegeben hat. Es hat sich immerhin schon eine neue Sparkasse Hildesheim-Goslar-Peine gebildet, die wirtschaftlichen Zusammenhänge bestehen also bereits. Doch Widerstände aus der Braunschweiger SPD haben verhindert, dass die Fusion der Landkreise Peine und Hildesheim überhaupt in die entscheidende Phase treten konnte. Anders ausgedrückt: Weil die Anhänger der Mega-Region Braunschweig ihren Traum nicht gefährden wollten, haben sie machtvoll die Annäherung von Peine und Hildesheim verhindert. Sie haben kurzerhand die Zukunftsentwicklung blockiert – und die Landesregierung sah dabei tatenlos zu.

Visionen sind gut, auch in der Politik. Ohne Visionen kann sich das Land nicht fortentwickeln. Gegenwärtig gedeihen im Braunschweiger Raum Visionen, die man auch Großmacht-Phantasien nennen kann. In der Landesregierung hingegen wird der Stillstand gepflegt. Beides ist eine gefährliche Mischung, weil das Ergebnis ernüchternd ist: Es kommt nichts wirklich voran.

 

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